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Jenisch

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Sprachfamilie

  • Indoeuropäisch
    • Germanisch
      • Westgermanisch

Jenisch und die Jenischen

Die jenische Sprache und ihre Sprecher

Die jenische Sprache kommt ursprünglich aus Österreich und wurde von der fahrenden Volksgruppe der Jenischen gesprochen, die einst in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Frankreich, teils auch in Nordspanien verbreitet waren. Jenisch, ein aus dem Sanskrit stammender Begriff, heißt, frei übersetzt, "klug und spitzbübisch" (wissensschlau). Die Jenischen, einst hauptsächlich als Gaukler und Hausierer bekannt, waren immer unterwegs, was ihre Sprache und Lebensweise prägte, die an diejenige von Sinti und Roma erinnert, obwohl den Jenischen die Abgrenzung von ihnen wichtig ist. Typische Tätigkeitsformen der Jenischen waren Korbflechten oder die Schaustellerei.

Die Jenischen

Im Dritten Reich

Im Dritten Reich wurden die Jenischen unter dem Vorzeichen der nationalsozialistischen Rassenideologie verfolgt und vielfach in den Konzentrationslagern interniert und vernichtet. Der NS-Rassenideologe Dr. Robert Ritter, der die Verfolgung der Jenischen sowie der Sinti und Roma maßgeblich betrieb, schrieb an der Psychiatrie der Universität Tübingen seine Habilitation u.a. über jenische Familien. Von seiner Tübinger Tätigkeit wurde Ritter dann direkt ans Reichsgesundheitsministerium nach Berlin abberufen.

In der Nachkriegszeit

Mittlerweile sind die Jenischen zumeist sesshaft geworden, häufig z.B. durch schulpflichtige Kinder oder andere Umstände, die in der mehrheitlichen Gesellschaftsvorstellung Deutschlands einen festen Wohnsitz erfordern. Nicht wenige fühlen sich gegen ihren eigentlichen Willen sesshaft gemacht. Die einstmals mögliche Praxis, Kinder dort vor Ort in die Schule zu schicken, wo eine fahrende Gruppe vorübergehend ihr Quartier aufschlägt, wird den Fahrenden in Deutschland verwehrt.

Bis heute ist die jenische Minderheit in Deutschland nicht offiziell anerkannt. Immerhin existiert ungefähr seit Anfang 2006 der Jenische Bund als Interessenvertretung. Insgesamt leben die Jenischen in Deutschland eher zurückgezogen und halten sich bedeckt, trauen sich - aus nach wie vor bestehenden Stigmatisierungsängsten - mit ihren Themen häufig nicht an die Öffentlichkeit. In der Schweiz sind sie inzwischen als Minderheit anerkannt, anders als in Deutschland, wo sie um den offiziellen Minderheitenstatus nach wie vor und bislang ohne Erfolg kämpfen. Auch eine Berücksichtigung in der Gedenk- und Mahnkultur angesichts der an ihnen begangenen NS-Verbrechen wird den Jenischen bislang noch nicht gewährt.

Die Vorstellung, es handle sich bei den Jenischen um Wilde, die erst lernen müssten, zivilisiert zu leben, hielt sich lange Zeit hartnäckig. In der Schweiz wurden jenische Frauen von 1890 bis in die 1980er Jahre zwangssterilisiert. Außerdem war in der Schweiz lange Zeit mit staatlicher Billigung ein angebliches Hilfswerk "Kinder der Landstraße / pro iuventute" tätig, dessen Aufgabe darin bestand, den Jenischen ihre Kinder wegzunehmen, um ihnen eine neue Identität zu verschaffen und sie in sesshafte Lebensverhältnisse zu verbringen. Zwei der Leiter des Schein-Hilfswerks waren pädophil, wobei lediglich der zweite aufgrund sexueller Kontakte zu in seiner Obhut befindlichen Kindern verurteilt wurde.

Die (im übrigen meist entbehrungsreiche und selten harmonische) Lebensweise der Zeit "auf Reis" wirkt unter den Jenischen bis heute nach. Viele zieht es auch im Winter und bei schlechtem Wetter in ihrer Freizeit nach draußen, manche würden ihre Sesshaftigkeit zugunsten eines Lebens in ihren Wohnwagen gerne wieder aufgeben.

Tübingen, 21.11.2000, 11.12.2001 und 23.11.2006; Tübingen-Bühl, 01.08.2006 - Peter Liehr

Jenisch in Ostwürttemberg

In Ostwürttemberg hielt sich die jenische Sprache noch relativ lange. Ihr letzter dortiger Rückzugsort war und ist Burgberg, Teilort von Giengen an der Brenz, das zu einer Art Freiung für Jenische wurde. Schon im 18. Jhd. wurden Jenische dort angesiedelt, in einem separaten Ortsteil, wo sie von den übrigen Ortsbewohnern die "Hausmugger" genannt wurden, denn die jenische Sprache in Burgberg blieb hauptsächlich durch ihren vorwiegenden Broterwerb, den Hausierhandel, erhalten, auf den speziell dort zeitweilig Gewerbesteuer erhoben wurde.

Noch in den 1950er Jahren sprachen 50 Prozent der Bevölkerung von Burgberg gutes Jenisch. Jenische Wörter haben Eingang in das lokale Umgangs-Schwäbisch gefunden. Erst in den letzten Jahrzehnten ist die Sprache weitgehend ausgestorben. Es gibt heute [Stand: Dezember 2001] noch rund 30 000 Jenisch-Sprecher in Deutschland.

Tübingen, 21.11.2000 und 11.12.2001 - Peter Liehr

Herangezogene Medienbeiträge

  • Radiobeitrag auf Radio SWR 2, Aktuelle Kultur, 21.11.2000, kurz vor 13:00 Uhr
  • Fernsehsendung: "Die ZDF-Dokumentation: Wenn die Straße ruft", 11.12.2001, 22:45 - 23:15 Uhr
  • Radiobeitrag auf Radio Wüste Welle, Reportage- und Interview-Sendung Absinth, 01.08.2006, 16:00 - 17:00 Uhr

Tübingen, 21.11.2000 und 11.12.2001; Tübingen-Bühl, 01.08.2006 - Peter Liehr

Sprach- und Kulturforschung

Forscher

  • Günter Danzer. Forscht zum Thema "Jenische Sprache", beschäftigt sich viel mit der jenischen Bevölkerung Burgbergs und ihrer Kultur. Bisweilen lässt er die Ergebnisse seiner Recherchen in ein folkloristisches Theaterstück in jenischer Sprache einfließen, ein Anliegen nicht zuletzt deshalb, weil er selbst noch unter dem Einfluss des Jenischen aufgewachsen ist.
    • Literatur:
      • Günter Danzer. Burgberg - Geschichte und Leben ... (2000)

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