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Thomas Traherne

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Die Parallele zwischen Gerhard Gundermanns Sicht der Zukunft und Thomas Trahernes Auffassung von Gedanken

Zwischen der am Anfang von Gerhard Gundermanns Lied "Die Zukunft ist 'ne abgeschoss'ne Kugel" geäußerten Betrachtung von Zukunft und Thomas Trahernes im Gedicht "Thoughts II" zum Ausdruck gebrachter Auffassung zu Gedanken sehe ich deutliche Parallelen.

Die erste Strophe von Gundermanns Lied lautet folgendermaßen [Quelle: Liedtext auf Lyrix.at. Interpunktion, Rechtschreibungsanpassungen sowie Apostrophierung von mir hinzugefügt]:

Die Zukunft ist 'ne abgeschoss'ne Kugel,
auf der mein Name steht und die mich treffen muss.
Und meine Sache ist, wie ich sie fange,
mit'm Kopf, mit'm Arsch, mit der Hand oder mit der Wange,
trifft sie mich wie ein Torpedo oder trifft sie wie ein
Kuss.

Die ersten zwei Strophen von Trahernes Gedicht "Thoughts II" lauten folgendermaßen [Quelle: Thomas Traherne. Centuries, poems, and thanksgivings. Herausgeber: Herschel M. Margoliouth. London: Oxford University Press, 1958. Band 2. S. 172-173.]:

(1) A Delicate and Tender Thought
The Quintessence is found of all he Wrought.
It is the fruit of all his Works,
Which we conceive,
Bring forth, and Give,
Yea and in which the Greater Value lurks.
It is the fine and Curious Flower,
Which we return, and offer evry hour:
So Tender in our Paradice
That in a Trice
It withers strait, and fades away,
If we but ceas its Beautie to display.

(2) Why Things so Precious, should be made
So Prone, so Easy, and so Apt to fade
It is not easy to declare.
But God would have
His Creatures Brave
And that too by their own Continual Care.
He gave them Power evry Hour,
Both to Erect, and to Maintain a Tower,
Which he far more in us doth Prize
Then all the Skies.
That we might offer it to Him,
And in our Souls be like the Seraphim.

Für Gundermann ist die Zukunft ein zunächst unausweichlich auf uns zukommendes Schicksal, wie ein Schuss aus einer Waffe, deren Ziel wir sind, so Gundermanns in Westernmanier fast überdeutlich formuliertes Bild. Dieses Schicksal gilt es anzunehmen, Wahlfreiheit herrscht dabei nicht - zunächst zumindest. Dann aber kommt es eben doch darauf an, wie, in welcher Haltung wir dieses Schicksal annehmen. Wir sind ihm nicht ganz so taten- und willenlos ausgeliefert, wie es anfangs scheint. In unserer Macht liegt, ob wir die Zukunft als vernichtendes Projektil ("Torpedo") oder als Geschenk ("Kuss") annehmen. Ein Geschenk, mit dem wir etwas anfangen können - so bin ich gewillt, mit Bezug auf Trahernes theologisch-philosophisch weiter reichende Reflexionen zu sagen. Bis hin zu solchen Überlegungen reicht Gundermanns Liedtext jedoch auch in den weiteren Strophen nicht. Gundermann verbleibt in diesem Lied auf einer wesentlich schicksalsergebeneren Position als Traherne, wird diese Beschränkung jedoch in seinem Lied "So wird es Tag" eindrucksvoll durchbrechen: "So wird es Tag, / und nicht anders, so wird es ein Leben, / wenn wir nicht wie tote Fliegen kleben, / an dem süßen Leim, zu dem man Schicksal sagt."

Was gemäß Gerhard Gundermann für die Zukunft gilt, gilt Thomas Traherne zufolge in ähnlicher Form für Gedanken. Gedanken kommen uns, sie sind gottgegeben ("It is the fruit of all his [God's] Works,"), wir empfangen sie, und ähnlich wie in einem Akt der Empfängnis ("Which we conceive,") sind wir dem Schicksal unterworfen, nicht wissen zu können, was für ein Wesen wir austragen und gebären werden ("Bring forth, and Give,"). Ist ein neuer Gedanke dann aber 'geboren', so haben wir die Freiheit zu eigenmächtig und verantwortlich handelndem Umgang mit diesem zart-zerbrechlichen Neugeborenen ("So Prone, so Easy, and so Apt to fade"). Ob wir dieses vollständig von uns abhängige Wesen annehmen oder lieber durch Vergessen verstoßen, ob und wie wir es in die Welt wirken lassen wollen, liegt an und in uns, die uns Gott sich als mutige Kreaturen wünscht ("But God would have / His Creatures Brave,") - mutig, unsere von Gott stammende und von ihm gepriesene Kraft, die Taten bzw. Bauwerke, die wir aus Gedanken entstehen lassen, verantwortungsvoll einzusetzen ("He gave them Power evry Hour, / Both to Erect, and to Maintain a Tower, / Which he far more in us doth Prize / Then all the Skies."). Solcher Einsatz verschafft uns Trahernes Auffassung zufolge die Fähigkeit, Gott die Folgen unseres Denkens in derselben Art wohlwollender Güte, wie sie Engelwesen zugesprochen wird, zum Geschenk zu machen ("That we might offer it to Him, / And in our Souls be like the Seraphim.").

Beiden Dichtern ist somit die Erkenntnis zueigen, dass - bei Traherne vorwiegend auf denkender, bei Gundermann auch auf handelnder Ebene - Schicksalsergebenheit in Tatkraft 'umgestülpt' werden kann.

Rottenburg am Neckar, 09.07.2014 - Peter Liehr

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