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"Träume aus Musik"

Hypnotische Klänge: "Naked Raven" auf der Nürnberger Lago-Bühne

[Nürnberger Nachrichten - Dienstag, 27. Juli 1999]

Filigrane Gitarrenakkorde perlen in die Lago Zeltdacharena. Leise Percussionsrhythmen unterstützen das zarte Melodiegeflecht. Ein Cello kommt dazu, schließlich eine klagende Geigenlinie. Musik wie aus einer fernen Sphäre, die zu unserer Welt grundverschieden ist. Und doch "nur" auf der anderen Seite des Globus liegt. Denn das Quartett "Naked Raven" kommt aus Australien. Und zeigte in Nürnberg wieder einmal, wie lyrisch und intim akustischer Folk klingen kann.

Weit ist der musikalische Horizont der vier. Und farbenreich. Gitarrist Russ Pinney beherrscht nicht nur das Erzählen krauser Geschichten von geklauten Fahrrädern und langweiligen Großeltern, sondern vor allem das Schreiben von Songs mit Ohrwurm-Qualitäten. Zum Beispiel lakonische, manchmal fast bissige Liebeslieder, die von Sängerin und Geigerin Erica Grundell mit Leben gefüllt werden.

Wenn Erica mit hauchzartem, aber zwingend hypnotisch wirkendem Mezzosopran etwas vom inneren "Wasteland" stöhnt und raunt, bekennt, sich selber zu hassen, das Fleisch zu durchbohren, die Seele zu verbrennen, dann treffen diese Botschaften direkt ins Herz, lassen niemanden unbeeindruckt. Manchmal ist der Gesang nur ein verzweifeltes Schluchzen, ein Schrei in der Finsternis, ein schmerzvolles Aufbegehren. Dann wieder wandelt die kleine Frau mit der großen Stimme auf beinahe volkstümlichen Pfaden, schwelgt etwa in humorvollen Sydney-Impressionen, zu denen James Richmond mit seinem umfangreichen Schlagwerk-Arsenal die passenden Ethnogrooves tupft und trommelt.

Richtig rund werden die Arrangements durch Kate Mazoudiers emphatisches, subtiles Cellospiel. Grenzen zwischen E- und U-Musik, Pop und Klassik sind gegenstandslos. Erica Grundell benutzt ihre Violine analog zu ihrer Stimme, läßt das Instrument wimmern und schreien, quitschen und kreischen, begibt sich für wenige Takte ganz bewußt aufs Terrain der Neuen Musik, um manche allzu schöne, allzu eingängige Melodie zu relativieren und zu hinterfragen. So baut "Naked Raven" eine eigene Dimension, ein eigenes musikalisches Reich, in dem man die Realität eine Weile vergessen kann. So schön sind sonst nur Träume.

Hans von Draminski

Originaltext

© Nürnberger Nachrichten / der Autor. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.

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