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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Montag, 09.10.1989

Deutsche Demokratische Republik

Erste Montags-Großdemonstration in Leipzig

Leipzig, Sachsen, Deutsche Demokratische Republik: Rund 70 000 Menschen demonstrieren in Leipzig auf dem Innenstadtring mit dem Ruf "Wir sind das Volk". Es handelt sich um die erste Massen-Montagsdemonstration gegen die Unfreiheiten und Repressionen in der DDR.

Die Befehlsgewalt zur Niederschlagung der Montagsdemonstration wird für diesen Tag von Berliner auf lokale Leipziger Ebene übertragen. Die Angst unter den Demonstrierenden ist in der eskalatorischen Stimmung groß. Zahlreiche unter ihnen verfassten im Vorfeld testamentarische Schriften. Seitens der Volkspolizei werden bestimmte Wasserwerfer mit blauer Stempeltinte präpariert, um Rädelsführer der Proteste markieren zu können. Zugleich stellen sich drei SED-Mitglieder sowie der Dirigent Kurt Masur, der Kabarettist Lutz Lange und eine weitere bislang staatstreue Person gegen das geplante gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstrierenden. Sie verlesen über die Stadtlautsprecher, zu deren Verstärkeranlage sie sich Zugang verschaffen, einen Aufruf zu Besonnenheit und Dialog zwischen demonstrierender Bevölkerung und Sicherheitskräften sowie der Ostberliner Regierung. Sie rufen dazu auf, keine Gewalt anzuwenden und in Dialog zu treten, um den Sozialismus in friedlicher Weise weiter zu entwickeln. Der Aufruf endet mit dem Satz: "Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird." Trotz der zu erwartenden Gewalteskalation - auf angrenzenden Balkonen sind Maschinengewehrnester postiert - nehmen an diesem Tag über 2 000 Menschen am Friedensgebet in der Nicolaikirche teil. Auch vor der Kirche übersteigen die Menschenmassen bislang bekannte Ausmaße. 70 000 friedlich Demonstriernde skandieren "Wir sind keine Rowdies!", ein Ruf, der bald in "Wir sind das Volk!" übergeht. Sie stehen 8 000 bewaffneten Sicherheitsbeamten gegenüber und rufen sie in ihren Sprechchören dazu auf, sich den friedlichen Protesten anzuschließen.

Die Zahl der Demonstrierenden wird sich im Monatsverlauf auf geschätzte 320 000 Menschen, also mehr als die Hälfte der Einwohnerzahl Leipzigs erhöhen.

Tübingen-Bühl, 19.11.2008 und 26.05.2009 und 26.09.2010; Rottenburg am Neckar, 09.10.2014 - Peter Liehr

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