Fahrtstreckendaten | |
Nettofahrzeit | 6 Stunden, 31 Minuten, 50 Sekunden |
Gesamtstrecke | 1029,9 km |
Höchstgeschwindigkeit | 56,2 km/h |
Durchschnittsgeschwindigkeit | 17,7 km/h |
Tagesstrecke | 104,93 km |
Gut ausgeschlafen, aber noch nicht ganz wach, holpere ich des Morgens übers Feld auf die leere Straße und mache den dümmstmöglichen Fahrfehler. Als mir aus einiger Entfernung auf meiner Spur ein Kleinlaster aufgeregt entgegenhupt, dämmert mir sofort, dass ich irgendwas falsch mache, und ich "tauche" erst einmal in den Straßengraben ab. Guten Morgen, Peter! Links fahren!!!
Schlafplatz östlich von Chalk bei Gravesend -> Chalk, durch -> Gravesend nach -> Dartford (Schnellimbiss) auf der A226, da ich die vierspurige A2 meiden will. Die Beschilderung und der Widerwille, an jeder Kreuzung anzuhalten und die weitere Route aus der Karte herauszuphantasieren, bringen mich hinter Dartford jedoch wieder auf die A2 zurück; bald wird mir aber auch das zu stressig, ich fahre runter; auf der Nebenstraße gelingt es aber nicht, "Strecke zu machen", außerdem führt sie wieder rauf; nach einer Weile A2 wiederhole ich das Spielchen nochmal und fahre dann hinter -> Welling endgültig von dem vierspurigen, dicht befahrenen Teilstück der A2 ab, da die Beschilderung ab hier nur Autobahnverkehr duldet. Ins Stadtzentrum geht's weiter auf der A20 über -> Lewisham -> New Cross -> Old Kent Road. Dann werde ich ein Stück weit von beschilderten Radwegen aufgegriffen, auch fahre ich eine Weile nach Orientierungssinn, und als ich schließlich aus der -> Union Street nach rechts in die -> Blackfriars Road abbiege, weiß ich noch gar nicht, dass ich schon mitten im Zentrum bin, lasse mir also vor dem Postamt von einem Passanten meinen Standort erklären. Das Der-Nase-nach-Fahren war diesmal also außergewöhnlich erfolgreich. Schnell Briefmarken und Telefonkarte kaufen und zu Hause anrufen.
Nach der Vesper- und Fotopause auf der -> Blackfriars Bridge beginnt meine kleine "Stadtrundfahrt", ich lasse die Kamera umgehängt und fotografiere im Fahren. Der Londoner Stadtverkehr ist dermaßen verstopft und von Ampeln und Baustellen in Schach gehalten, dass ich keinerlei Verkehrshindernis darstelle. Ich fahre nördlich der Themse zur -> Tower Bridge, fotografiere sie im Überqueren und treibe mich dann eine Weile auf ihren beiden Gehwegen herum, um nach Fotomotiven Ausschau zu halten.
Zurück am nördlichen Themseufer fahre ich über -> Upper Thames Street und -> Victoria Embankment nach -> Westminster, wo gerade vor dem Parlament eine neue U-Bahnlinie gebuddelt wird. Ich sehe mich nur kurz um und setze mich zur Kartenlektüre auf eine Bank am -> Birdcage Walk vor St. James Park. Frage: Wie komme ich wieder aus London heraus? Es ist Nachmittag, und ich sollte am Abend schon möglichst weit aus dem Großstadtbereich entfernt sein. Wie komme ich also am geschicktesten zur A5? Erst einmal zur Park Lane. Nach kurzem Vesper geht's am -> Buckingham Palace vorbei über -> Constitution Hill zum -> Duke of Wellington Place. In dem riesigen Kreisverkehr ist der Verkehr fast so chaotisch, wie ich es aus Rom kenne, ich werde aber auch hier wie im übrigen London in vorbildlicher Weise als Verkehrsteilnehmer respektiert. Daran ist zwar sicher auch mein auffälliges Vehikel schuld, alles in allem hätte ich aber nie geglaubt, dass Radfahren inmitten einer Metropole dieser Größe so einfach sein kann...
Ebenso leicht ist es, sich zu verfahren. Vom Duke of Wellington Place aus fahre ich statt zur Park Lane zum -> Picadilly Circus hinter einem Fahrradkurier her, und als ich in der -> Shaftsbury Avenue herausgefunden habe, wo ich eigentlich bin, beschließe ich dann endgültig, dass diese Fahrtrichtung keine Zukunft hat. -> Haymarket -> Pall Mall -> James's Street, über -> Piccadilly vorbei am Ritz Hotel (...kein typischer Schlafplatz für mich!) zurück zum Kreisverkehr am -> Duke of Wellington Place.
Diesmal biege ich richtig ab. In der -> Park Lane am Hyde Park entlang an einer schier endlosen Reihe von Reiseomnibussen, die, wie ich mutmaße, wohl etwas mit der allüberall beworbenen Last Night of the Proms zu tun haben, hin zu der Straße, deren südliches Endstück -> Edgware Road heißt und deren nördliches Endstück sich in Wales befindet, vermutlich in Holyhead am Fährhafen nach Irland: Ich habe einen weiteren Fixpunkt meiner Fahrt erreicht: Die A5, die ich bis zu meinem Zielort kaum verlassen werde. Als ich das nach ein paar Kilometern stadtauswärts (-> Stadtteil Kilburn) mit meiner ersten Portion Fish & Chips "feiere", kommen doch tatsächlich zwei Rennradler mit offenbar speziell für diesen Einsatzbereich entwickelten kleinen Gasmasken vorbei. Ja, das sei hier keine Seltenheit, erklärt mir ein älterer Kunde im Chips Shop und fügt achselzuckend hinzu, er würde ja auch mit dem Rad zur Arbeit fahren, aber die Luftbelastung sei so hoch, dass auch er das Auto vorzöge. Und mit public transport dauere es in seinem Fall noch länger als im verstopften Straßenverkehr.
Ich verlasse Greater London mit dem abendlichen Berufsverkehr, dem ich geschwindigkeitsmäßig überlegen bin, nachdem mir ein Polizist auf mein Fragen hin erklärt, dass Radfahren auf der Busspur erlaubt sei. Daher stehe ich an den Ampeln immer ganz vorne.
Stadtteile Kilburn -> Cricklewood -> Kingsbury, vor dem Off Licence Shop, wo ich mir eine Flasche Limonade kaufe, schwärmt mich im Gespräch ein Passant in Pidgin English über Deutschland "voll", bis sein Bus kommt. Die Dämmerung zeichnet sich ab. -> Edgware.
Als es dunkel wird, verlasse ich den Londoner Vorstadtgürtel und gelange über -> Radlett nach -> St. Albans -> bzw. zu meinem Schlafplatz dahinter.
Zwischen St. Albans und Redbourn steht rechter Hand ein Pub mitten in der Landschaft, hell angestrahlt und weithin sichtbar. Ein Stück weit dahinter biege ich nach links in eine der kleinen Straßen ab, die als Zufahrten zu Bauernhöfen und Feldern dienen. Ein wenig abseits der Straße lässt sich nämlich ein großes, dunkles, scheunenartiges Etwas ausmachen, das sich bei Annäherung als ein riesiger Stapel gebundener Heuquader herausstellt. Optimal! Auf der Windschattenseite liegen einige noch nicht endgültig gestapelte Heuballen und etwas loses Heu herum, womit ich mein Rad kaschiere. Ich habe mich gerade gemütlich daneben breit gemacht, als es zu regnen beginnt. Also kommt heute zum ersten Mal auf der Tour, wenn schon nicht das Zelt, so eben die Plane des Außenzeltes zum Einsatz, die ich über die Kuhle, in der ich liege, und über den Fahrradlenker werfe, um eine Öffnung für Frischluft zu haben.
Bangor, Herbst / Winter 1996; Tübingen-Bühl, August 2005 und Juni 2006 - Peter Liehr