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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Dienstag, 27.11.2001

Die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn

Bonn, Deutschland: Die Afghanistan-Konferenz, die heute offiziell begonnen hat, will bereits im Laufe dieser Woche zu einem Ergebnis kommen. Die afghanischen Delegierten sind bereit, den immensen Zeitdruck zu akzeptieren, unter dem die Verhandlungen stehen. Schon zum Auftakt der Gespräche wird vom Willen zur Einigung unter den afghanischen Vertretern berichtet, an die Bundesaußenminister Fischer in seiner Einführungsrede appelliert: "It's up to you..." Es bleibt zu hoffen, das die Verhandlungsergebnisse bei aller Eile und dem hohen internationalen diplomatischen Druck, der auf den afghanischen Konferenzteilnehmern liegt, ausgereift und "gut genug" werden, um auch innerhalb afghanischen Bevölkerung akzeptiert werden zu können. Hoffentlich fühlt man sich in zivilen, friedlichen und friedliebenden Kreisen in Afghanistan von der Delegiertengruppe wohlrepräsentiert. Zu dieser Frage gab es in der Presse nämlich jüngst auch kritische, fragende Stimmen. Außerdem demonstrieren in Bonn heute in Deutschland lebende sowie von anderswo angereiste Exil-Afghanen, fordern "Freedom for Afghanistan" und sind zu einem offenbar recht schwerwiegenden Teil der Auffassung, dass die afghanischen Konferenzteilnehmer und -teilnehmerinnen die Bevölkerung und die Interessen des Landes eben nicht wirklich verträten oder nicht hinreichend repräsentierten. Zudem wird von Demonstrantinnen kritisiert, dass nur fünf Frauen an der Konferenz teilnehmen. Dabei wäre es äußerst wichtig, wenn schon ganz von Anfang an Frauen eine tragende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Landes spielten. [Quellen: Radio SWR 2, Aktuell; Radio BBC World Service.]

Ein paar Details der Ergebnisse der Konferenz sind heutigen Radioreportagen bereits zu entnehmen, aber die Präzision in der Formulierung lässt noch zu wünschen übrig. Es soll in Afghanistan offenbar zunächst eine vorläufige Regierung und ein vorläufiger parlamentarischer Rat eingerichtet werden. Die beiden Institutionen sollen aus Vertretern aller afghanischen Stämme bestehen.

Tübingen, 27.11.2001 - Peter Liehr

Ausblick: Eine Folgekonferenz wird im kommenden Jahr am 02.12.2002 beginnen.

Tübingen, 02.12.2002 - Peter Liehr

Kabul, Afghanistan; Russland: In Kabul ist eine russische Delegation angereist, um die russische Botschaft wieder zu eröffnen. [Quelle: Radio BBC World Service]

Tübingen, 27.11.2001 - Peter Liehr

Afghanistan: Amnesty International fordert eine Untersuchung über die Ermordung hunderter Taliban-Kriegsgefangener in Nordafghanistan. Die meisten darunter sind offenbar im Zusammenhang mit der Niederschlagung einer Meuterei talibanischer Kriegsgefangener in einem als Gefängnis genutzten Fort in Masar-i-Scharif erschossen worden. Insbesondere ausländische Söldner, die für die Taliban kämpften - und darum handelte es sich bei den Gefangenen wohl fast ausschließlich - sollen durch Kopfschüsse zwischen die Augen gezielt hingerichtet worden sein. Berichten vom 28.11.2001 [Radio SWR 2, Aktuell] zufolge stehe fest: Keiner der Aufständischen hat die Niederschlagung der Meuterei überlebt. Eine weitere Untersuchung fordert Amnesty International hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit US-amerikanischer Bombardements in bestimmten Fällen. [Quelle: Radio BBC World Service]

Tübingen, 27.11.2001 und 28.11.2001 - Peter Liehr

USA; Irak: Die USA verstärken ihren Druck auf den Irak, wieder UN-Beobachter ins Land zu lassen. Der Verdacht besteht, dass dort die drei Jahre, in denen keine Beobachter mehr ins Land gelassen wurden, dazu genutzt worden sind, Massenvernichtungswaffen herzustellen. US-Präsident George W. Bush antwortet auf die Frage eines Journalisten, was passiere, wenn der Irak keine Beobachter herein ließe, sinngemäß, dass das die irakische Regierung dan schon sehen werde. Von eben dieser Seite hingegen wird erwidert, man lasse sich nicht einschüchtern und sei fähig, sich zu verteidigen.

Es ist durchaus zu befürchten, dass sich an das Bombardement in Afghanistan ein Krieg ähnlichen Vorzeichens im Irak anschließt. Werden wir uns an diese Art von Kriegführung im Lauf der Zeit gewöhnen? Es ist nicht zu hoffen, dass im Kampf gegen den Terror einseitig militärische Umgangsformen mit dem Phänomen die Oberhand gewinnen. Im Falle Irak wird einerseits von US-amerikanischer Seite berichtet, das Embargo wäre viel zu "löchrig", in gleichem Maße glaubhaft ist andererseits die Auffassung arabischer Intellektueller, das Embargo träfe nur die falschen, nämlich die zunehmend leidende Zivilbevölkerung eines völlig zugrunde gewirtschafteten Landes. Das "machtpolitische Armdrücken" zwischen den USA und dem Irak, das auch nur den Ansatz eines Dialoges jetzt wie auch weiterhin erfolgreich verhindern dürfte, besteht darin,

  1. dass der Irak die Lockerung des Embargos als Bedingung und die Zulassung von UN-Beobachtern als mögliche Konsequenz versteht,
  2. die USA hingegen die Zulassung von UN-Beobachtern als Bedingung und die Lockerung des Embargos als mögliche Konsequenz ansehen.

Da bei diesem Streitpunkt mit Sicherheit keine der beiden verfeindeten Mächte von ihrer Position abrücken wird, ist ein weiterer Krieg unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen den Terror durchaus vorstellbar.

Tübingen, 27.11.2001 - Peter Liehr

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