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Gedanken und Notizen zum Mittwoch, 28.11.2001

Um Milzbrand ist es ruhig geworden. Fünf Menschen sind in den USA daran gestorben. Nach Greenpeace-Berichten steht möglicherweise ein Forscher dahinter, der mehr Geld für sein Labor durchsetzen wollte. Neben Anthrax waren die Briefe auch mit dem Trocknungsmittel Silica versetzt, das in Verbindung mit Milzbrand bisher offenbar nur von den USA und z.B. nicht vom Irak eingesetzt wurde. Wenn die US-Regierung etwas weiß und nicht veröffentlicht, dann liegt die Vermutung nahe, dass es für sie belastend sein könnte. Handelt es um eine Art von Anthrax, die nur die USA kennen und die erst nach 1972 auftrat, so würde dies quasi nachweisen, dass die USA die Milzbrandart gezüchtet und damit gegen die Biowaffenkonvention verstoßen haben. In allen Briefen mit Anthrax seien Hinweise gewesen, die vor dem Erreger warnte und den Empfänger dazu anhielt, Antibiotika zu nehmen; es kann also durchaus sein, dass der Täter naiverweise eigentlich niemanden töten, sondern auf das hinweisen wollte, was er erforschte bzw. herstellte - und vermutlich auch, dass er erpresserische Absichten verfolgte. [Quelle: Radio SWR 2, Aktuell]

Afghanistan; USA: Die zahlreichen in Afghanistan gelandeten US-Truppen nehmen vorwiegend die Taliban-Führung und Al Quaida ins Visier. Allerdings gibt es mittlerweile fast stündlich neue Berichte darüber, wo sich Taliban- Führer Mullah Omar und Osama Bin Laden befinden. Ob sie wirklich gefunden werden können, bleibt unklar.

Deutschland: Die Bundesanwaltschaft hat einen Marokkaner festnehmen lassen, der in die Attentate von New York und Washington am 11.09.2001 verstrickt sein soll. Er ist Student an der Technischen Hochschule in Hamburg, an der auch Mohammed Atta eingeschrieben war. Mit Atta sei er laut Medienberichten in engem Kontakt gestanden, habe an dessen Islam-Arbeitskreis teilgenommen und die Terroranschläge logistisch unterstützt, indem er u.a. ein Konto verwaltete, von dem aus die Flugstunden für einen der Attentäter vom 11.09.2001 (vermutlich Atta) bezahlt wurden. [Quelle: Radio SWR 2; ARD-Fernsehen, Tagesschau und Tagesthemen]

Die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn

Bonn, Deutschland: Der zweite Tag der Afghanistan-Konferenz verläuft, so lässt es sich Berichten von Radio BBC World Service entnehmen, weitaus nüchterner als der erste. Der gestrige, erste Tag war auffallend positiv und optimistisch zu Ende gegangen, sicherlich vorwiegend deswegen, weil "nur" die Grundvoraussetzungen für die Verhandlungen besprochen wurden. Heute hingegen treten die Meinungsverschiedenheiten erstmals offen zutage. Die Vertreter der Nordallianz sprechen sich strikt gegen eine ausländische Friedenstruppe aus und bestehen darauf, dass die Sicherheit Afghanistans einzig und allein von Vertretern der Stämme und Volksgruppen des Landes gewährleistet werden soll.

Vertreter der Nordallianz in Afghanistan sind ärgerlich darüber, dass sie in Bonn nur mit einer Stimme vertreten sind. Ihrer Auffassung nach ist dies ungerecht, angesichts der Tatsache, dass sie es gewesen seien, die für die Befreiung Afghanistans militärisch quasi den Kopf hingehalten hätten. Machtfragen lassen sich hinter dieser Einschätzung ebenso wie hinter der Forderung der Nordallianz erkennen, es solle eine Staatsform geben, in der die einzelnen Volksgruppen als weitgehend autonome Teilstaaten fungieren. Eine ungleiche Verteilung der Reichtümer des Landes würde so voraussichtlich die Überlegenheit großer Volksgruppen beim Zugang zu Bodenschätzen weiter begünstigen, aber vermutlich keine echte Friedensbasis bedeuten. Verfolgt man die Interviews mit Einheimischen in Radio und Fernsehen, so verstärkt sich leider der Eindruck, dass die Vorstellung davon, was Frieden ist und dass er möglich sein könnte, in Afghanistan vielen, nicht nur dem im ARD-Fernsehen in den Tagesthemen interviewten Vertreter der Nordallianz, abhanden gekommen zu sein scheint. Festzuhalten bleibt, dass die afghanischen Stimmen derjenigen, die sich in Bonn unterrepräsentiert fühlen, sehr genau, gleichzeitig aber auch sehr kritisch und hinterfragend gehört werden sollten.

Der UN-Gesandte Ahmed Fahsi warnt auf der Bonner Konferenz vor vorzeitigen Spekulationen durch die Presse. Eine kleine tendenziöse Fehlmeldung könne die Friedensbemühungen zu Fall bringen. Die Einigkeit im Wunsch nach Frieden ist meiner Einschätzung der Medienberichte zufolge zwar eine bestehende Tatsache, muss gleichzeitig aber als eine sehr junge, empfindliche Pflanze gesehen werden, die noch kaum eine Wurzel geschlagen hat, und die durch die unterschiedlichen Interessen der einander eher argwöhnisch als wohlgesonnen gegenüberstehenden afghanischen Gruppierungen vom einen auf den nächsten Moment geknickt werden kann.

Tübingen, 28.11.2001 - Peter Liehr

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