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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Sonntag, 25.09.2011

Bei meinen heutigen Eintragungen stütze ich mich vorwiegend auf Meldungen von Radio Deutschlandfunk.

Rottenburg am Neckar, 25.09.2011 - Peter Liehr

Deutschland

Papstbesuch, letzter Tag

Freiburg, Baden-Württemberg, Deutschland; Vatikan; Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. Eucharestiefeier auf dem Freiburger Flughafengelände. Benedikt XVI beendet heute seinen viertägigen Deutschlandbesuch. Im Freiburger Konzertsaal hält er vor seiner Abreise vom Flughafen Lahr eine Rede vor 1 500 geladenen Gästen, in deren Rahmen er einer Modernisierung der katholischen Kirche eine Absage erteilt. Die Kirche dürfe sich nicht der Gegenwart anpassen, sondern müsse Distanz zur Gesellschaft wahren - eine Einstellung, die mein Unverständnis für die Haltung des Vatikans unter Schreckensschaudern zementiert und meine Kirchenferne vertieft. Josef Ratzinger, so sein bürgerlicher Name, meint vor seiner Abreise außerdem, er sei besonders berührt von der freundlichen Aufnahme in Berlin. Bundespräsident Christian Wulff bedankt sich bei Benedikt XVI und meint, der Papst habe mit dem Besuch seiner Heimat zahlreiche Menschen beschenkt.

Rottenburg am Neckar, 29.05.2011 und 25.09.2011 - Peter Liehr

Gedanken zur konservativen Haltung des Papstes

Klosprüche verunzieren häufig Türen und Kabineninnenräume öffentlicher Toiletten. Bisweilen regen sie aber auch zum Nachdenken an. So erinnere ich mich daran, wie mit verschiedenen Schriften unterschiedlicher Toilettenbenutzer an der Wand eines öffentlichen WCs in der Tübinger Universität eine witzige Streitfrage gleichermaßen leidenschaftlich wie humorvoll in knappen Sponti-Sprüchen debattiert wurde. Wie das auf WCs aber ebenso vorkommen kann, kam einem nicht ins Thema involvierten Schreiber die Leidenschaft seiner unteren Körperhälfte in die Quere, deren weiteren Bedürfnissen der Ort ja dient. Die mit seinem sexuell gewiss nicht lieblos gemeinten, mitten in den Debattenverlauf hineingekritzelten "Ich bums dich glücklich!" begangene Themaverfehlung wurde von einem der Debattierenden gleichermaßen humor- wie liebevoll quittiert mit einem "Aber darum geht es doch gar nicht im Augenblick!".

Um Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es hier weder um die Überhöhung noch um die Verkennung grundlegender sexueller Bedürfnisse. Sie sind, was sie sind: grundlegend - und als das durchaus sehr ernst zu nehmen -, aber nicht bedeutsam. (Bei der Unterscheidung zwischen "grundlegend" und "bedeutsam" folge ich den Erläuterungen in Sebastian Gronbachs Buch Missionen (Stuttgart, 2008).) Und sie sind für mich zunächst nicht im Betrachtungsfokus. Genau: "Aber darum geht es doch gar nicht im Augenblick!". Um eben diesen Satz geht es mir. Und um diesen Satz herum kann ich erklären, warum ich der Klarheit der Äußerungen von Papst Benedikt XVI bei seinem Deutschlandbesuch durchaus dankbar bin, denn dem bekannten Unwillen des Vatikan, den in diesen Satz zum Ausdruck kommenden Dissens zu thematisieren, folgte das Oberhaupt der Katholiken diesmal nicht.

Viele zutiefst fundierte Wahrheiten, wichtige Erkenntnisse und äußernswerte Betrachtungen ließ der Papst während seines Deutschlandbesuchs vernehmen. Manche davon tief im Katholizismus wurzelnd, andere von philosophischer Allgemeingültigkeit und damit auch von Anhängern anderer philosophischer oder religiöser Grundrichtungen als der des Katholizismus äußerbar.

"Aber darum geht es doch gar nicht im Augenblick!" - diesen Satz hätten viele der um den Werdegang der katholischen Kirche äußerst besorgten Anhängerinnen und Anhänger von Bündnissen wie "Kirche von unten", "Wir sind Kirche" und anderen reformorientierten Gruppierungen dem Pontifex erwidern können, wie schon so viele Male zuvor bei Papstreisen. Den genannten Bündnissen und Gruppierungen geht es bekanntlich unter anderem um Themen wie:

  • Frauenpriestertum
  • Homosexualität und Kirche
  • Teilnahme Wiederverheirateter am Abendmahl
  • Ökumenisches Abendmahl
  • Nutzung von Kondomen (eine Frage, in der sich der Dissenz in jüngeren Jahren tatsächlich verringert hat)
  • Priesterzölibat

Mit hinreichender Deutlichkeit jedoch hat Benedikt XVI diesmal diejenigen katholischen Menschengruppen, denen Änderungen beim Umgang der Kirche mit den genannten Themen ein Herzensanliegen sind, nicht übergangen, sondern ihnen klar dargelegt, dass in dieser Hinsicht alles beim Alten bleiben werde und dass er ihre Modernisierungsvorhaben als Verirrungen betrachtet. "Aber darum geht es doch gar nicht!" - so hätte auch er es formulieren können, und offenbar geht es seiner Auffassung nach nicht nur "im Augenblick" nicht darum, sondern auf lange Zeit hin, wenn nicht gar ewiggültig.

Ich habe tiefsten Respekt - bei gleichzeitig mitfühlendem seelischem Schmerzempfinden - für engagierte Reformkatholiken, die unter solcherlei Umständen nicht "hinschmeißen" und der Kirche den Rücken kehren, sondern - wie es auch Ökumene-Verfechter von protestantischer Seite her beschreiben - von ersten Schritten und lediglich ersten Stufen einer steilen Treppe ausgehen mögen, die es zu besteigen gilt. Ich selbst könnte eine solche Langmut nicht aufbringen, aber trotz meines Unverständnisses für ihre Scheiternsresistenz zählen die, die das dennoch versuchen, für mich zu den überzeugendsten Katholiken. Sie sind Menschen, die nach meinem Empfinden Kindern und Jugendlichen voller Herzenstiefe eine Stütze dabei geben können, "glühende Heilige" zu werden, wie der Papst es nun bei einer Jugendmesse anregte.

"Werdet glühende Heilige!"

"Werdet glühende Heilige!" Huh, wie gut und richtig das doch sein kann, wenn es aus einem wachen inneren Ich-Bewusstsein heraus entsteht. Und - nochmals huh - wie leicht das doch gerade für junge Menschen zu einer fehlinterpretierten Überforderung werden kann, wenn es als stringente Nachfolge im Sinne der Befolgung eines Wertesystems missverstanden wird. Und es kann nicht, nein es darf tatsächlich nicht darum gehen, Kinder und Jugendliche in solcher Weise existenziellen Überforderungssituationen auszusetzen - gerade in der sensiblen Phase der Pubertät nicht, in der sie ihren inneren Kompass justieren, das ihnen innewohnende Wesenhafte, ihr inneres Göttliches, wenn man es so betrachten will, erfassen und begreifen lernen.

Wenn der Klerus hier nicht wesentlich mehr Sorgsamkeit walten lässt, als er es in der Vergangenheit (leider vielfach überhaupt nicht) vermochte, dann hat die katholische Kirche schneller, als es ihr lieb sein kann, den nächsten Missbrauchsskandal am Hals. Die drohende Möglichkeit überforderter, verglühter Heiliger, ausgebrannt, dem eigenen Kompass-Empfinden beraubt und innerlich ausgeleert, lässt mich alarmiert aufhorchen, gerade angesichts der leider hochaktuellen Umgangs-Problematik mit Opfern der mangelhaft ausgebildeten Umgangsfähigkeit zahlreicher - ebenfalls leidvoller - katholischer Würden- bzw. Unwürdenträger mit dem Sexuellen.

Damit komme ich zurück zum Ausgang meiner Gedanken: Ein "Studium" von Klosprüchen muss nicht zwangsläufig eine empfehlenswerte klerikale Übung darstellen, aber es kann. Die wache Beschäftigung mit der hinter einem so banalen Satz wie "Ich bums dich glücklich!" stehenden Seelenhaltungs- und sexuellen Befindlichkeits-Möglichkeiten kann Anschluss an grundlegende Lebens-Niederungen bieten, die zu übergehen, statt sie zu integrieren, gerade bei geforderter zölibatärer Lebenshaltung keineswegs ungefährlich ist. In diesem Fall mit einem "Aber darum geht es doch gar nicht im Augenblick!" auszuweichen gilt nicht. Nein: Auch darum geht es!

Rottenburg am Neckar, 26.09.2011 und 27.09.2011 - Peter Liehr

Die internationale Finanzkrise

Europäische Union; Welt; Deutschland; Griechenland: Beängstigte Debatten in Europa und der Welt über die angespannte Lage des Euro und über die kritische Situation des Weltfinanzsystems. Insbesondere die trotz Stützungen drohende Staatspleite Griechenlands sorgt für Debatten. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt vor einem Schuldenschnitt für Griechenland zum jetzigen Zeitpunkt. In einem solchen Falle drohe unter den Schuldnern ein völliger Vertrauensverlust in den Euro. Merkel fordert eine Verschärfung der Defizitregeln. Länder, die gegen die Euro-Defizitkriterien verstießen, müssten notfalls einen teilweisen Verlust ihrer Autonomie in Kauf nehmen. Geradezu verzweifelt anmutende Appelle internationaler Finanzinstitutionen an die Europäische Zentralbank werden laut, sich Gehör zu verschaffen und auf Regeleinhaltung zu pochen. Die EZB sei die einzig verbleibende Institution, vor der in Europa noch einhellig Respekt herrsche.

Rottenburg am Neckar, 25.09.2011 - Peter Liehr

Frankreich

Frankreich: Die konservative Regierung verliert bei einer Teilwahl zu den Parlamentskammern die Mehrheit ihrer Stimmen. Das Ende der heutigen Teilwahl wird als Startmoment des Präsidentschaftswahlkampfs in Frankreich wahrgenommen.

Rottenburg am Neckar, 25.09.2011 - Peter Liehr

Yvelines; Frankreich; Paris, Frankreich: Gérard Larcher wird als Senator für das Département Yvelines wiedergewählt. Präsident des Pariser Senats ist Larcher nicht mehr.

Rottenburg am Neckar, 06.05.2012 - Peter Liehr

Saudi-Arabien: Frauen in Saudi-Arabien sollen, wie heute verkündet wird, ab 2015 das aktive und das passive Wahlrecht bekommen. Im monarchisch regierten Saudi-Arabien gibt es keine Parteien.

Rottenburg am Neckar, 25.09.2011 - Peter Liehr

Bolivien: Blutige Auflösung eines Indianerprotests, der sich gegen den Bau einer Fernstraße richtet. 500 Polizisten gehen mit Tränengas gegen rund 1 500 Mitglieder eines Indianerstamms vor, die sich gegen die Abholzung weiteren Regenwalds richten. Übermorgen wird der bolivianische Präsident Evo Morales sich des brutalen Vorfalls annehmen.

Rottenburg am Neckar, 27.09.2011 - Peter Liehr

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