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Schalthebel

Das (un-) aufhaltsame Aussterben der "Rundlinge", oder: Warum es nach wie vor Anhänger von Rundschalthebeln gibt. Eine Selbstbezichtigung als Beispiel

Leider baut Mavic keine Gangschaltungen, die auf ein elektrisch betriebenes Schaltwerk verzichten.

Auch bei Mavic ist der Umwerfer per Bowdenzug mechanisch zu bedienen. Die Position des dazu verwendeten Schalthebels - eines Rundschalthebels (!) - auf der Innenseite des Rennlenkers am Bremsgriff finde ich schon bei meinen momentan verwendeten, leider nicht mehr gebauten Suntour-Schalthebeln vom Typ Command-Shifter höchst bedienungsfreundlich. Doch leider gibt es einen solchen Schalthebel von Mavic nur für den Umwerfer, nicht aber für das Schaltwerk.

Die erwähnten Schalthebel-Typen sind Daumen-Rundschalthebel, die an der Innenseite eines Rennlenkers montiert werden und dort in hoher Sitzhaltung (Hände auf den Bremsgriffen) gut, in tiefer Sitzhaltung (Hände in der Rundung des Rennlenkers) mäßig, nur halbwegs hinreichend zu bedienen sind und bisweilen ein Umgreifen "nach oben" erfordern. Dennoch sagen sie mir besonders zu, weil man bei ihnen mit einiger Erfahrung durch den Einstellwinkel ertasten kann, welches Ritzel man gerade benützt. Selbstverständlich geht das noch einfacher mit dem Kettenblatt. Das daraus resultierende Schaltgefühl und Schaltverhalten verankert sich beim Vielfahrer rasch so gründlich im Unterbewusstsein, so dass man extreme Ritzel-Kettenblatt-Kombinationen sicher und ohne vom Verkehr abgelenkt zu sein schalten kann, obwohl selbst ein Longcage-Schaltwerk darauf gar nicht ausgelegt ist.

Gerade weil Rundschalthebel weitgehend "ausgestorben" sind, sehe ich mich für die Ausstattung eines künftigen Fahrrades sehr genau um, werde aber kaum fündig. Auf eine Ganganzeige verzichte ich liebend gern. Wer kann sich schon erlauben, diese zu beachten, wenn er - extremes Beispiel - bei leicht ansteigender Straße ein schwer bepacktes Reise-Lastenfahrrad mit Anhänger in dichtem Großstadtverkehr nach einer Ampel beschleunigen und sich gleichzeitig in eine voraus liegende Abbiegerspur einordnen möchte. In solch einem Fall "kurbelt" man sich auf dem kleinsten Kettenblatt mit enormem Kraftaufwand erst einmal bis knapp über Schrittgeschwindigkeit von Ritzel zu Ritzel, sollte aber nicht über das fünft- oder sechstgrößte Ritzel hinaus in schnellere Gänge schalten, um die ohnehin mächtig belastete Kette vor zu starkem Verbiegen zu schützen und sie aufgrund des jetzt fast völlig entspannten Schaltwerks vor dem Durchhängen, Überspringen oder Verschalten zu bewahren. Nun gilt es also, mit dem Umwerfer bei ausgesetzter Tretkraft möglichst schonend und zugleich schnell auf das nächsthöhere Kettenblatt zu wechseln und gleichzeitig mit dem Schaltwerk drei oder vier Gänge zurückzuschalten, um tatsächlich auf den nächsthöheren Gang zu gelangen. Dies kann mit Hilfe einer Ganganzeige nur durch zumindest halbwegs konzentriertes Draufschauen und Mitdenken geschehen - beides in der vorliegenden Beispiel-Situation völlig ausgeschlossen. Die riskante Verkehrslage erfordert volle Wachsamkeit und Konzentration. Kurzum: Schulterblicke statt Ganganzeige. Hier kann also nur dann mit gutem Gefühl Rad gefahren werden, wenn der Schaltprozess unterbewusst abläuft. Und das funktioniert meiner Erfahrung nach mit einem Suntour Command-Shifter prima, weil die Schaltposition jederzeit durch Auflegen des Daumens ermittelt werden kann. Klingt primitiv und ist es auch. Doch der Tastsinn ist das einzige hierfür geeignete Sinnesorgan, das nicht vom sonstigen Verkehrsgeschehen in Anspruch genommen wird.

Sicherlich hat der Suntour Command-Shifter gravierende Nachteile und kann bei "handelsüblichem" Einsatz auf einem Rennrad keineswegs gegen die Brems-Schaltgriff-Kombinationen der Marktführer "anstinken". Zum einen ist er ein "Schaltzug-Fresser": Die durch den sehr kleinen Drehkreis des Hebels hohe Beanspruchung des Schaltzuges führt dazu, dass er weit häufiger reißt als bei anderen Schalthebeln. Des weiteren ist der Druck, den der schaltende Daumen ausüben muss, enorm. Gerade bei Nässe, wenn der Hebel ohnehin nicht allzu griffig ist, ist der Schaltzug häufig schwergängig, zumal bei in diesem Falle äußerst kurvenreicher, reibungsintensiver Führung entlang der Rennlenker-Windungen. Trotz all seiner beachtlichen Mängel war und ist dieser Schalthebel-Typus für meinen Anwendungsbereich die konkurrenzlos beste Wahl.

Gewiss kann ich mit meinen außergewöhnlichen Nutzungsanforderungen keine große Auswahl an Schalthebeln erwarten, dennoch hoffe ich, dass die Vielfalt der Bauformen für Rennlenker wie andere Lenkerformen eher wieder zu- statt abnimmt, selbst wenn es seit Mitte der 1990er Jahre, seit zehn Jahren nicht mehr danach aussieht. Wie ich sehe, brauche ich Geduld, viel Geduld. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Friedrichshafen (Fahrradmesse "Eurobike"), 02.09.2001; Tübingen-Bühl, 19.12.2004 - Peter Liehr

Naben- oder Kettenschaltung?

Die Rückkehr der Naben- bzw. Getriebeschaltungen

Kettenblatt-Größenunterschiede, die über den herstellerseitig zugelassenen Schaltwerk-Spezifikationen lagen, ermöglichten mir einst ein Spektrum an Gängen, mit dem sowohl sehr schnell gefahren als auch große Lasten erhebliche Steigungen hinaufbewegt werden konnten. Wie man liest: Es handelte sich um Kettenschaltungen. Wo es von nominell 24 Gängen (3x8) real nur elf gab, die sich nicht überschnitten, holte ich durch Kettenblätter mit 24, 38 und 52 Zähnen reale 14 überschneidungsfreie Gänge heraus. Die waren aber, wie zuvor beschrieben, nur mit Rundschalthebeln so intuitiv und gefühlvoll zu schalten, dass es nicht "ratschte" und keine "unerlaubt" großen Ketten-Verwindungen auftraten. "Rechtes Kettenblatt - rechte fünf Ritzel. Mittleres Kettenblatt - mittlere fünf Ritzel. Linkes Kettenblatt - linke fünf Ritzel." So lautete die "Schaltens-Verhaltens-Grundregel", und so blieb der Verschleiß einigermaßen in Grenzen. Auf Fertigkeit und Feingefühl, die dazugehörten, konnte man einen gewissen Stolz entwickeln. Vielleicht so, wie dereinst Brummifahrer auf das Zwischengas, das ihnen ihre Lkws beim Schalten abverlangten.

Zwischengas ist längst Geschichte. Diese Fertigkeit braucht man nicht mehr. Beim Fahrrad wird in ähnlicher Weise das Feingefühl für Kettenschaltungen langsam obsolet. Zunächst wurden Schaltungsketten mit zunehmender Ritzelzahl schmäler und damit verwindungstoleranter, "kreuz- und querschalten" ist also weniger schlimm als früher (auch wenn es nach wie vor kein Fehler ist, darauf zu verzichten). Zudem führten höhere Ritzelzahlen (neun oder zehn Stück sind derzeit Standard, acht faktisch schon "ausgestorben") dazu, dass diejenigen Gangdifferenzen, die ich durch irreguläre Kettenblatt-Kombinationen erreichte, nunmehr auch regulär und ohne höhere Gangsprünge zu haben sind.

Somit könnte man eigentlich zufrieden sein. Wäre da nicht der Verschleiß, den Abrieb und Kettendehnung fordern - zumal schmäler werdende Ritzel, Kettenblätter und Ketten auch die Feinjustierung "fitzeliger" werden lassen. Bloß: Was soll man tun? Auf die Idee, von der Kettenschaltung überhaupt Abstand, gar Abschied zu nehmen, traute sich noch vor einigen Jahren kaum jemand zu kommen. An Nabenschaltungen Gefallen zu finden fiel schwer, insbesondere jemandem, der vor Jahren leidvoll eine kräftig in die Jahre gekommene, aber gepflegte und wenig gebrauchte Sachs-Pentasport-Fünfgang-Nabenschaltung so einzustellen versuchte, dass sie auch wirklich funktionierte. Das Scheitern daran und die aufgeriebenen Finger lehrten mich die Kettenschaltung schnell wieder lieben...

Dann ließ mich die Rohloff-Nabe aufhorchen, die mit ihren 14 überzeugend umgesetzten, überschneidungsfreien Gängen ein Übersetzungsspektrum anbietet, das dem von mir genutzten gar nicht mehr allzu weit hinterher hinkt. Wartungsarm, gekapselt und für viele Einsatzgebiete weithin ausreichend - im Gang-Spektrum der "upgedateten" Kettenschaltung jedoch um jenes gewisse Stück unterlegen, das mir wert und wichtig ist. Was also tun, fragte ich mich mit einigen Bauchschmerzen. Die rührten von der unbefriedigenden Überlegung her, die Defizite einer teueren Rohloff-Nabenschaltung dann eben doch wieder mit einer primitiven zusätzlichen Zweigang-Kettenschaltung auszubügeln. Der Nabe und mir selbst solches Stückwerk anzutun brachte ich nicht über mich. Blieb also doch wieder die - wenn schon, denn schon - Nur-Kettenschaltung.

Nun bietet inzwischen Pinion ein 18-Gang-Getriebe an, das ebenfalls robust, gekapselt, wartungsarm und zudem in der Lage ist, alles, was mir bisher an Gang-Spektren bekannt war, auszustechen und weit in den Schatten zu stellen. Das Ding ist noch etwas größer als die Rohloff-Nabe, und den Platzverbrauch kann es sich dadurch leisten, dass es als Tretlager-Box und nicht als Nabe daherkommt. Der scheinbare Nachteil, dass dazu das ganze Fahrrad mit entsprechendem Tretlagerbereich gefertigt sein muss, ist bei näherer Überlegung gar keiner, denn wer gegenüber Kettenschaltungen preislich deutlich zu Buche schlagende, jedoch langlebige und wartungsarme Getriebesysteme vorzieht, meint es zumeist sehr ernst mit intensiver Fahrradnutzung und wird sich eher selten die neue Schaltung ins alte Fahrrad einbauen wollen.

Pinion dürfte sich somit als Vorreiter hochwertiger Schalttechnik etablieren und Maßstäbe für Gangspektren setzen, die ich mir noch vor wenigen Jahren sehnlichst wünschte, jedoch, wenn überhaupt, nur mit Kettenschaltungen für möglich hielt.

Ach ja: Der Suntour-"Command-Shifter"-Flügelmutter-Schalthebel wird nie mit Pinion kombinierbar sein. Aber mir in guter Erinnerung bleiben. Er ist Geschichte. Stichwort Zwischengas. Oder Fahrradmuseum. Ich verdanke ihm vieles, keineswegs nur die Gewohnheit, zum Schalten beim Rennlenker kurz nach oben umzugreifen. Die werde ich wieder brauchen, da der Pinion-Drehgriff bei Verwendung eines teilbaren Rennlenkers ebenfalls oben seinen Sitz hat.

Rottenburg am Neckar, 22.10.2015 - Peter Liehr

Hersteller

  • Bike-tech
    • Kugelgelagerte Kettenschaltungs-Kettenführungsrädchen
  • Campagnolo
    • Italienischer Hersteller (Vicenza, Venetien)
    • Spezialist für Rennrad-Kettenschaltungen
      • Mechanisch sowie elektrisch betriebene Schaltwerke
    • Der in den 1990er Jahren kurzzeitig vorgenommene Versuch, im Mountainbike-Kettenschaltungs-Bereich Fuß zu fassen, brachte präzise Midcage- und Longcage-Schaltwerke hervor. Auch die zugehörigen Daumenschalthebel hatten präzise, aber sehr hart einrastende und einiges an Daumenkraft erfordernde Rastpositionen.
  • Chainrunner
    • Mitrotierende Ketten-Schutzummantelungen für Ketten, die nicht per Kettenschaltung geschaltet werden
  • Mavic
    • Französischer Hersteller
    • Spezialist für elektrisch betriebene Schaltwerke bei Rennrad-Kettenschaltungen
  • Modolo
    • Italienischer Hersteller
    • Brems-Schalthebel-Kombination "Morphos", kompatibel zu mehreren Schaltungsherstellern
  • Pinion
    • Deutscher Hersteller (Denkendorf, Baden-Württemberg)
    • Robuste, gekapselte Tretlagergetriebe, bis zu 18 Gänge, mit von anderen Schaltungskonzepten nicht erreichten Übersetzungsbereichen
  • Rohloff
    • Deutscher Hersteller
    • Robuste 14-Gang-Nabenschaltung
    • Hochwertige Ketten für Naben- und Kettenschaltungen
  • Sachs
    • Deutscher Hersteller
    • Ehemaliger Hersteller von Nabenschaltungen
      • Weiterhin Getriebefertigung, jedoch nicht mehr im Fahrradbereich
      • Einst sehr erfolgreicher Pionier bei der Entwicklung von Zwei- und Dreigang-Nabenschaltungen (Typ "Torpedo")
      • Später Entwicklung der Fünfgang-Nabenschaltung "Pentasport", deren wartungsintensivere Ansteuerung mittels zweier Schaltzüge durch einen einzigen wuchtigen und dennoch oft schwergängigen Schalthebel sich als nur bedingt praktikabel herausstellte
      • Der Bereich Fahrrad-Schaltungstechnik ging an das Unternehmen SRam über.
  • Shimano
    • Japanischer Hersteller
    • Spezialist bei Kettenschaltungen für alle Fahrradtypen
      • Mechanisch sowie elektrisch betriebene Schaltwerke
    • Nabenschaltungen mit bis zu 8 Gängen
    • Auch Automatik-Gangschaltungen
    • Shimano Deutschland
  • Specialités TA
    • Französischer Hersteller
    • Hersteller hochwertiger, leichter und zugleich sehr verwindungssteifer Kettenblätter
  • SRam
    • Kettenschaltungen
    • Kombinationen von Ketten- und Nabenschaltungen
    • Drehgriffschalthebel "GripShift"
    • Im Fahrrad-Schaltungsbereich Nachfolger von Sachs
  • Sturmey Archer
    • Einstiger britischer Hersteller
    • Traditioneller ehemaliger Nabenschaltungs-Hersteller
  • Suntour
    • Einstiger japanischer Hersteller
    • Ehemaliger Hersteller von Kettenschaltungen
      • Das eine Zeitlang verfolgte Konzept eines nicht hinten am Schaltauge, sondern in Richtung Tretlager versetzt angebrachten Schaltwerks führte nicht zu derselben Schaltpräzision, wie sie zu erreichen ist bei herkömmlichen Schaltwerken - letztere waren bei Suntour allerdings von sehr hoher Ferigungspräzision und Schaltgenauigkeit gekennzeichnet.
      • Besonderheit: Die Rundschalthebel vom Typ "Command Shifter" in Flügelmutterform, zur nach innen gerichteten Montage an Rennlenkern oberhalb der Bremsgriffe vorgesehen, ermöglichten geübten Fahrern die taktile Ermittlung der Schaltposition durch Daumen-Auflegen, ohne optische Ganganzeige.
    • Das Nachfolgeunternehmen SR Suntour konzentriert sich auf Federgabeln.
  • Triplex
    • Ehemaliger Hersteller von Kettenschaltungen

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