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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Mittwoch, 06.04.1994

Ruanda

Beginn des Völkermordes

Ruanda: [Quelle: Radio SWR 2, Sendung "Zeitlupe" am 04.04.2003.] Der Tod des Hutu-Präsidenten durch Abschuss seines Flugzeuges wird Vorwand zur Ausrottung der Tutsi-Minderheit in Ruanda. In den kommenden 100 Tagen werden Radio SWR 2 zufolge in Ruanda pro Stunde 2 000 Menschen, am Tag 24 Stunden lang hingemetzelt. Der Buchstabe "T" für Tutsi im Personalausweis wird zum kollektiven Todesurteil. Auch rückblickend fällt es mir schwer, das zu glauben und mir diese Zahlen bildlich vorzustellen. Ich schlage nach (Harenberg, Bodo, Hrsg. Aktuell 2002. Dortmund: Harenberg Lexikon-Verlag, 2001.) und stoße auf folgenden Satz: "2001 versuchten R. und internationale Justizbehörden, den 1994 begangenen Völkermord der Hutu-Milizen an den Tutsi, bei dem ca. 1 Mio. Menschen getötet wurden, juristisch aufzuarbeiten." Eine Million Tote nach dieser Quelle. Nach Angaben von Radio SWR 2 vom 08.09.2014 liegt die Opferzahl zwischen 800 000 und 1 Million. [Siehe auch Monatsübersicht.]

Tübingen, 04.04.2003; Rottenburg am Neckar, 08.09.2014 - Peter Liehr

"Die UNO ist nicht schuld, es sind die Mitgliedsländer." Das ist im Nachhinein die Auffassung des kanadischen Generals Dillard, der in Ruanda als Kommandeur der ruandischen UN-Truppe UNAMIA 1 Dienst tut und bereits im Vorfeld vieles in Bewegung setzen möchte, um einen Einsatz von UN-Truppen zur Verhinderung des absehbaren Völkermordes in Gang zu bringen. Damit scheitert er jedoch, weshalb er während seines weiteren Lebens Schuldkomplexe und Depressionen angesichts des machtlos Mitangesehenen durchzustehen haben wird. Der politische Wille der Weltgemeinschaft, darunter nicht zuletzt der USA sowie der ehemaligen Kolonialmacht Belgien, das von langer Hand geplante Massaker zu verhindern (vgl. auch Januar und März), fehlt in eklatanter Weise. Nicht einmal zu einer Anerkennung des Tatbestandes Völkermord (der zwangsläufig zu einem UN-Einsatz hätte führen müssen) kommt es. Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen lavieren mit Begriffen wie "acts of genocide", dagegen wird die Nennung des rechtlich bindenden Begriffs "Völkermord" an und für sich nicht zuletzt dadurch vermieden, dass der Konflikt vorrangig in seiner Eigenschaft als Bürgerkrieg gesehen und definiert wird, eine Konfliktform, bei der die Vereinten Nationen offenbar nicht eingreifen dürfen - wenn es denn nicht zu Völkermord kommt (oder dieser in der Auslegung der Vorgänge an einem Konfliktherd eben unterschlagen wird). [Quelle der Information: "Zur Schuld verdammt." - Fernsehdokumentation im ARD-Fernsehen in der Nacht vom 23.11.2003 zum 24.11.2003. In der Sendung wird übrigens von 800 000 Opfern des Konflikts gesprochen.]

Tübingen, 24.11.2003 - Peter Liehr

"Die Mordfrequenz auf UKW"

Unter diesem Titel blickt Radio SWR 2 in seiner Sendung "Zeitlupe" am 04.04.2003 auf den bislang konsequentesten Einsatz des Mediums Radio zum Zwecke des Völkermordes zurück. Daraus einige Informationen:

Bereits ein Jahr vor dem Völkermord installerte die Hutu-Regierung im ganzen Land UKW-Sendemasten und bereitete die Bevölkerung auf 106 MHz auf den Massenmord vor.

"Bleibt wachsam. Beobachtet auch die Abwasserkanäle, damit das Gesinde keine Chance hat, durchzukommen." Etwa so wird die Bevölkerung im Radio zum Morden angestachelt. Ruandas bekanntester Schlagersänger Bikindi wird vom Radio beauftragt, Hetzlieder zu komponieren. Auch der religiöse Glaube wird intensivst in die Propaganda eingespannt, man beruft sich beim Aufruf zum Töten auf die Gottesmutter Maria. "Haltet durch. Die heilige Maria ist unter uns..." Grund: 95 Prozent der Bevölkerung gehören einer christlichen Kirche an, Ruanda ist das am intensivsten missionierte Land Afrikas. Kurzum: Die Radiomoderatoren tun alles, um das Land in einen kollektiven Blutrausch zu versetzen, und so kommt es, dass Hutus, die Machete in der einen, das Transistorradio in der anderen Hand, ihre Landsleute vom Stamme der Tutsi abschlachten.

Der Weltsicherheitsrat lehnt jede Intervention ab. Nicht einmal zur Einrichtung eines Störsenders kommt es. Grund für die Haltung ist eine UN-Mission in Afrika in der Vergangenheit, an die ich mich zugegebenermaßen nicht mehr erinnere und den ich mir auch im schnellen Verlauf der Radioreportage nicht zu merken schaffe. (Ich bin mir bewusst, dass ich hier etwas unterschlage, schaffe es aber im Augenblick auch rein zeitlich nicht, mich weiter schlauzulesen.)

Der wichtigste Moderator des genannten Propagandasenders, ein Belgier, wird später vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal zu 12 Jahren Haft verurteilt werden. Auch der besagte Schlagersänger wird vor diesem Tribunal stehen und verurteilt werden. Aber: Der Radiosender sendet weiterhin (nach Informationen vom 04.04.2003) und ruft nun in Ruandas Nachbarland Kongo zum Mord an der Tutsi-Minderheit auf. Er wird nach Angaben von Radio SWR 2 von einem Multimillionär finanziert, der ebenfalls vom Haager Kriegsverbrechertribunal gesucht wird.

Tübingen, 04.04.2003 - Peter Liehr

Weitere, eher knapp gehaltene Notizen zum Völkermord in Ruanda folgen am 11.04.2003, aufgeschrieben im Zusammenhang mit dem Krieg im Irak.

Weilheim an der Teck, 11.04.2003 - Peter Liehr

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