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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Freitag, 11.04.2003

Krieg im Irak

Gedanken über Zeitstimmung und Medienberichterstattung nach Ende der prägenden Kriegshandlungen

Gestern hatte man bei den unterschwellig vermittelten Botschaften einiger Fernsehmeldungen schon fast den Eindruck, der Krieg im Irak schiene bereits vorbei zu sein. Der größte Teil des Krieges dürfte mit der Übernahme der Kontrolle durch US-amerikanisches und britisches Militär in Bagdad auch "gelaufen" sein, doch gibt es immer noch Kämpfe im Norden des Landes sowie kleinere Gefechte in Vororten der Hauptstadt selbst. Interessant zu beobachten war, wie sehr sich die deutsche Fernsehberichterstattung änderte. Die kritische Haltung der deutschen Bevölkerung und Regierung wurde aus einem weitaus kritischeren Blickwinkel betrachtet als zuvor. Die Stimmen von erleichterten Exilirakern traten in den Vordergrund, die den Krieg einer Fortsetzung der Diktatur vorgezogen hatten nach dem Motto: "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende." Mir gehen bei diesem Schwenk in der Tendenz der Berichterstattung folgende Gedanken durch den Kopf: Als der deutsche Bundeskanzler kategorisch eine Kriegsbeteiligung ausschloss, hielt und halte ich das für richtig unter der Prämisse, dass es keinen Beschluss der Vereinten Nationen gibt, der eine Absetzung des irakischen Regimes mit dem Mittel des Krieges rechtfertigt. Schwer ins Zweifeln kam ich in Anbetracht der Tatsache, dass Bundeskanzler Schröder eine deutsche Beteiligung auch für den Fall ausschloss, dass die UNO den Krieg für legitim erklärt. Wenn - wie von der US-Regierung - beschlossen wird, diesen Krieg zu führen, egal was die Vereinten Nationen beschließen, dann wird deren Autorität ebenso untergraben, wie wenn - von der deutschen Regierung - beschlossen wird, sich nicht an einem Krieg zu beteiligen, egal was die UNO beschließt.

Ich bin gegen eine Schwächung der UNO, aber dass dieser großen und wichtigen Einrichtung auch Fehler und "Unterlassungssünden" zuzuschreiben sind, dass die Vereinten Nationen keine Idealinstitution sind, sondern nur ein Abbild dessen, was in einer Welt möglich ist, in der es neben nicht wenigen Demokratien auch zahlreiche - ebenfalls in der UNO vertretene - Diktaturen gibt, das vergesse ich dabei auch nicht. (Vor wenigen Tagen gab mir besonders der neun Jahre zurückliegende Fall des am 06.04.1994 begonnenen Völkermordes in Ruanda schwer zu denken, in dem die Weltorganisation offenbar ziemlich tatenlos zusah. Der Völkermord in Ruanda wird in einer ursprünglich 1999 auf Radio SWR 2 in der Sendung "Forum" gesendeten und heute auf Radio SWR ContRa wiederholten Diskussionssendung als eine Hypothek des Kolonialismus beschrieben. Dort sei es zu Grenzziehungen gekommen, die einzelnen Bevölkerungsgruppen Gebiete zuwies, in denen man schlichtweg nicht hätte leben können. An der Diskussion nahm u.a. der Historiker Hans Mommsen teil.) Zurück zur Positionierung für oder gegen den Krieg: Ob auf Seiten der US-Regierung oder auf Seiten der deutschen Regierung bzw. insbesondere auf Seiten der deutschen Friedensbewegung - ich hatte bislang immer dann meine Probleme in der Diskussion, wenn der Beschluss, Krieg zu führen, oder die Ablehnung eines Krieges rein kategorisch vonstatten ging. Und das war meinem Ermessen zufolge in den diesbezüglichen Diskussionen nach dem 11.09.2001 so gut wie immer der Fall.

Irak: Über den Verbleib des Diktators Saddam Hussein herrscht nach wie vor Unklarheit. Indessen ist in Bagdad das Chaos ausgebrochen. Eine Ordnungsmacht gibt es nicht mehr bzw. noch nicht, die US-Truppen sind im Augenblick weder in der Lage noch willens, diese Aufgabe zu übernehmen, offenbar haben sie nicht mit einer solchen Entwicklung gerechnet. Viele und plündern und stehlen alles, wessen sie habhaft werden können, "In Bagdad gelten keine Regeln mehr", es herrsche "Anarchie wie aus dem Lehrbuch", so die Aussagen eines Berichterstatters im deutschen ARD-Fernsehen. Am Morgen kapituliert die Ölstadt Mossul. Auch diese Stadt versinkt im Chaos, auch dort beginnen Plünderungen. Die Kämpfe konzentrieren sich jetzt auf Tigrit.

Türkei: Die Türkei schickt zunächst keine Soldaten in den Irak, hält aber ihre Armee an der Grenze zum Irak in Alarmbereitschaft. Die kurdischen Kämpfer sollen nach dem Willen sowohl der USA als auch der Türkei Kirkuk wieder verlassen, der türkische Außenminister Gül spricht in dieser Hinsicht den USA sein Vertrauen aus. Auf Seiten der türkischen Regierung fürchtet man Versuche der Kurden, ausgehend von Kirkuk einen eigenen Staat zu gründen.

Zynische Schuldenerlass-Vorschläge von US-Seite an Deutschland und Frankreich

USA; Deutschland; Frankreich: Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Wolfowitz schlägt Deutschland, Frankreich und Russland vor, dem Irak seine Schulden zu erlassen. Diese Länder hätten der irakischen Führung Kredite zum Bau von Regierungspaläste und zur zur Anschaffung von Mitteln zur Repression der Bevölkerung gegeben. Mit diesen Schulden solle die neue irakische Regierung nicht belastet werden. Der Irak hat Angaben von Radio SWR ContRa zufolge vier Milliarden Euro Schulden bei der Bundesrepublik Deutschland. In einem Kommentar auf SWR ContRa bezeichnet Harald Weiss diese Worte gerade aus dem Mund von Wolfowitz als zynisch und selbsgefällig, sei er doch während des Krieges zwischen dem Iran und dem Irak derjenige in politischer Verantwortung gewesen, der den Irak am konsequentesten militärisch habe unterstützen lassen. Dennoch sei der Gedanke an einen Schuldenerlass an sich keine schlechte Idee. Bundeskanzler Schröder macht deutsche Hilfe für den Irak davon abhängig, ob beim Wiederaufbau des Landes die UNO eine führende Rolle spielen wird.

Demonstrierende Schülerinnen und Schüler angesichts politischer Vereinnahmungsversuche - ein Rückblick auf die letzen Irak-Kriegswochen

Deutschland: Wie schon gestern im ARD-Fernsehen wird auch heute in Radio SWR ContRa auch über die Stimmungsrichtungen auf Antikriegsdemonstrationen in Deutschland berichtet. In viel stärkerem Maße als Studierende seien Schülerinnen und Schüler auf die Straße gegangen, jedoch habe es sich dabei keinesfalls um einen repräsentativen Querschnitt durch die deutsche Jugend gehandelt, selbst wenn sie sich nicht grundsätzlich in einer politischen Richtung positionierten.

Es habe immer wieder Vereinnahmungsversuche aus verschiedenen politischen Lagern gegeben, die demonstrierenden, sehr politisch denkenden Jugendlichen seien jedoch kaum parteipolitisch gebunden oder zu binden. Im Osten Deutschlands ist immer wieder das Problem aufgetreten, dass sich rechtsextreme Parteien in die Demonstrationen eingemischt und sich als die "echte Friedensbewegung" stilisiert haben. Als Bindeglied zu den übrigen Demonstrierenden versuchten die Rechtsextremen Antiamerikanismus einzusetzen, was jedoch in den meisten Fällen offensichtlich nicht gelang. So wurde in den vergangenen Wochen auf Mailinglisten der Friedensbewegung explizit vor "falschen Verbündeten" gewarnt und zur Distanzierung von der rechtsextemen Szene aufgerufen.

Sankt Petersburg, Russland; Deutschland: Der deutsche Bundeskanzler Schröder trifft sich in Sankt Petersburg mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin und dem französischen Premierminister Jacques Chirac. Bei den Petersburger Gesprächen geht es großenteils um die Nachkriegsordnung im Irak. Die drei Staatsmänner setzen sich für eine Neuordnung des Irak unter dem Dach der Vereinten Nationen ein.

In der Sendung "Eckpunkt" auf Radio SWR 2 wird eine interessante Reportage über den inzwischen in vielen Kommunalen Kinos angelaufenen Film Forget Bagdad und über seinen Regisseur gesendet.

Deutschland: Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes soll einem heutigen Beschluss zufolge von Pullach nach Berlin verlegt werden. Die veränderte weltweite Sicherheitslage mache eine nähere Anbindung von Geheimdienst und Regierung notwendig, heißt es.

Israel-Palästina-Konflikt: Ein britischer Friedensaktivist wird in Israel erschossen, angeblich, als er sich zwischen israelische Soldaten und palästinensische Kinder stellt.

Weilheim an der Teck, 11.04.2003 - Peter Liehr

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