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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Mittwoch, 10.10.2001

USA: "The Truth about Anthrax": So ist ein interessanter Artikel von heute über Milzbrand in The Independent überschrieben. Heute werden aus Furcht vor einem Anschlag mit Milzbranderregern in einem Berliner Möbelhaus die im Gebäude befindlichen Kunden etwa zwei Stunden lang eingesperrt. Für Panik und Polizeiaktionen sorgen auch anderswo Briefe, deren Textinhalt ihre Kontaminierung mit schädlichen Substanzen nahelegt. Auch morgen werden die Neuigkeiten über Anthrax nicht abreißen.

Afghanistan: Fortführung der Angriffe gegen die Taliban und Al Quaida.

Der momentan zu erlebende Konflikt ist in gewisser Weise "schillernd", "schillernd" im Sinne von "nicht einem klaren, geschweige denn einem einzigen Motiv zuzuordnen". Machtpolitische Interessen spielen auf allen Seiten eine Rolle, ebenso Weltanschauung, insbesondere verschiedene Ideenwelten, sowie "Way of Life", d.h. zum geliebten Alltag gewordene Handlungs- und Denkgewohnheiten. Und in all diesen Bereichen spielen Glaube und religiöses Empfinden eine Rolle. So gesehen ist er - entgegen meiner früheren Sicht (vgl. meine Einträge am 09.10.2001) - wohl auch ein religiöser Konflikt, und dies in dem Maße zunehmend, in dem er dazu gemacht, d.h. für religiöse Argumentationen verwendet wird.

Tübingen, 10.10.2001 - Peter Liehr

"Eine Art Gebrauchsanweisung"

(Auch ausgelagert als separate Datei verfügbar.)

Es ist an der Zeit, ein wenig Gebrauchsanweisung für hiesigen Text zu geben. Es herrscht Krieg. Und große Teile der Welt, meine eigene Heimat auch, "stecken in irgendeiner Weise mit drin". Uns allen ist die Tatsache bekannt, dass in einem Krieg einer der ersten Verlierer die Wahrheit ist. Auch ich informiere mich in Medien, zu denen ich relativ einfach Zugriff habe und deren Existenz mir bekannt ist. Logische Folge: Auch diese Zeilen sind gefärbt. Objektivität ist, wenn nicht schon immer, so doch zumindest jetzt:

  • einerseits ein Ideal, dem viele nahe zu kommen versuchen,
  • andererseits eine Illusion, ein Wunschtraum, eine Utopie.

Viele versuchen (wie ich hier auch), mit diesem Ideal durch intensives Abwägen und kritisches Nachdenken über die derzeitigen Ereignisse und die Nachrichten, die sie hervorbringen, einen möglichst hohen Grad an ehrlich vertretbarer Meinung zu erwerben. Das kann aber nur zu Näherungswerten, nie zu einem endgültigen Erfolg führen. In diesem Sinne verstehe ich diese Zeilen als ein intensives Ringen um Meinung, um einen zumindest vagen eigenen Standpunkt. Und als solches sollten sie auch gelesen werden. Hier wie auch sonst überall möchte ich niemanden zu unkritische Übernahme von "Fakten" oder Meinungen anregen, vielmehr will ich jede Leserin und jeden Leser auffordern, sich mit kritischem Geist in der Fähigkeit zu üben, zwischen den Zeilen zu lesen, offene wie versteckte Intentionen von diesem und anderen Texten zu entdecken und kritisch einzuordnen. Abzusehen ist, dass auch dieser Text im Laufe seiner Fortschreibung noch mehr als jetzt schon

  1. zu einer Art Dokumentation meiner im Wandel begriffenen Meinung werden wird. Gewisse Änderungen der eigenen Position sind bei einer in schnellem Wandel begriffenen Weltlage kaum zu vermeiden.
  2. auch die Grundkonstanten meines Standpunktes zu Tage wird treten lassen. Es hat bei alledem nämlich keinen Sinn, ein opportunistisches "Fähnchen im Wind" zu werden.

Tübingen, 10.10.2001 und 20.11.2001 - Peter Liehr

Mir wird zunehmend klar, dass ich mich auf zu wenige Parameter, Betrachtungsperspektiven und Ansichts-Schwerpunkte festlege bzw. festlegen will, als dass ich - bezogen auf die nach dem 11.09.2001 entstandenen oder verstärkt aufgeflammten Konflikte - darauf so etwas wie einen Standpunkt aufbauen könnte, dem oberflächlich betrachtet etwas Gefestigtes, Statisches, Unverrückbares innewohnen würde. Die Unverrückbarkeiten liegen, denke ich, tiefer verwurzelt, in einer vom konkreten Fall unabhängigen Vorstellung von moralischem Denken und Handeln.

Wozu mir meine Aufschriebe - die aus Zeitgründen in Teilen leider nur Presse- und Radiomeldungen zusammenfassen können, ohne sie eingehend zu reflektieren - wozu mir diese Aufschriebe bislang auf jeden Fall verhalfen, ist ein Blick für die Schwierigkeit, mich in die Konflikte und ihre Beteiligten hinein zu versetzen und dennoch außenstehend genug zu bleiben, um einigermaßen neutral zu beobachten und mir ein Urteil von hoch brisanten Situationen zu bilden, das ihnen in ihrer Brisanz auch gerecht wird. Zeitweiliges Scheitern diesem Anspruch gegenüber mag mir hier durchaus unterlaufen, und ich bitte dies zu verzeihen, so wenig verzeihlich es im Einzelfall auch erscheinen mag.

Tübingen, 18.12.2001 - Peter Liehr

Bis zum 13.01.2002 habe ich das Geschehen nach dem 11. September 2001 relativ eng verfolgt, also ziemlich genau ein Drittel Jahr lang. Einige Ereignisse wiederholen sich mittlerweile, auch bei mir scheint sich wider Willen eine Gewöhnung an eine nunmehr ziemlich veränderte Weltlage einzustellen. Dennoch ist fraglich, ob es auf Dauer betrachtet einen Zweck hat, dieser Gewöhnung große Mengen Text entgegenzustellen, also in der bisher von mir verfolgten Weise gegen sie anzuschreiben. Was wollte, was will ich mit hiesigen Aufschrieben? Meinen Standpunkt vertreten - und auch dazu stehen, dass ich in einigen Bereichen noch keinen festen Standpunkt habe, oft erst im Begriff bin, einen zu finden. Ob ich diesem Anspruch gerecht wurde, vermag ich selbst nicht zu beurteilen. Ein solches Urteil überlasse ich meinen Leserinnen und Lesern.

Von nun an muss ich mich aus Zeitgründen beschränken. Es wird mit Sicherheit zu zahlreichen brisanten Ereignissen kommen, über die ich nicht schreiben werde. Bei manch anderen Vorfällen werde ich mich womöglich einer erneuten Äußerung nicht enthalten wollen. Ich will und kann hier jedoch nicht der Arbeit eines Journalisten nachgehen. Die von hier an sehr spärliche Fortsetzung dieser Seiten kann folglich selbst bei aller Bemühung nur noch weniger als bereits bisher den Grundsätzen ausgewogener journalistischer Berichterstattung und Kommentierung folgen. Trotzdem ziehe ich es vor, mich auch weiterhin zu äußern, wo ich es für angebracht halte.

Tübingen, 14.01.2002 - Peter Liehr

Deutschland; Frankreich: Heute fährt ein vergleichsweise langer Zug mit abgebrannten Brennstäben deutscher Atomkraftwerke in die französische Wiederaufereitungsanlage La Hague - und wird von einigen Vertretern der Grünen als gerade jetzt zu riskant verurteilt, angesichts der Gefahr von Anschägen durch Extremisten. Geht der gestern glimpflich verlaufene Anschlag auf einen ICE auf das Konto von Fundamentalisten oder auf dasjenige militanter Atomkraftgegner? Letzteres wäre insofern schlecht nachvollziehbar, als eine Katastrophe mit einem Personenzug weder vereinbar mit noch förderlich für ihre Ziele sein kann.

New York City, USA; Deutschland: Der deutsche Bundeskanzler Schröder besichtigt die Trümmerfelder in New York.

Tübingen, 10.10.2001 - Peter Liehr

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