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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Donnerstag, 18.10.2001

USA: 31 Personen sind gestern im US-Senat mit dem Anthrax-Erreger in Kontakt gekommen. Teile des Kapitols werden demzufolge, erstmals in der Geschichte der USA, vorübergehend geschlossen. Der an den Mehrheitsführer im Senat, Senator Daschle gerichtete Brief, in dem sich der Erreger befand, war an allen Seiten mit Klebeband zugeklebt und wurde mit einer Schere geöffnet, worauf bereits weißes Pulver herausrann. Die enthaltene Nachricht, "You've been exposed to anthrax. You're going to die" ließ Daschles Büroangestellter nach Lektüre auf den Boden fallen, er gruppierte sich mit seinen Mitarbeitern darum, die sich dadurch wohl infizierten.

Ich schaue mir heute zunächst vorwiegend die Nachrichten in den Nando Times an.

"U.S. military sends radio message to Afghans" Der Krieg wird auch mittels Medien geführt. Dieser Artikel über flugzeugbasierte amerikanische Rundfunksendungen ("Information Radio") und Abwürfe von Flugblättern für die afghanische Bevölkerung zeigt deutlich, dass sich die genannten Maßnahmen mindestens ebenso an die US-amerikanische Bevölkerung (nach innen) wie an die afghanische Bevölkerung (das "eigentliche Ziel" der verteilten Informationen) richtet. "Gewähren Sie den Taliban oder Osama Bin Laden weder Nahrung, Unterschlupf noch jedwede sonstige Art von Hilfe", ist eine vertretbare Aufforderung. Die Aufforderungen, sich nicht nur von Terroristencamps, Militärinstallationen und Regierungsgebäuden (ebenfalls vertretbar), sondern auch von Straßen, Fabriken oder Brücken fern zu halten, ist jedoch leider geeignet, unter der Bevölkerung ein Gefühl allanwesender Bedrohung zu erzeugen, das sie im ungünstigen Falle enger mit den Extremisten zusammenschweißen könnte.

Hier sehe ich leider großes Potential für einen parallel zum Waffenkrieg ablaufenden Krieg der Worte. Propaganda und Gegenpropaganda. Auf diesen Parallelkrieg werden sich die USA voraussichtlich einlassen, die Mechanismen sind aus früheren Kriegen wohl bekannt. Ob sie ihn gewinnen können, ist meiner Einschätzung nach mindestens ebenso fraglich wie beim "Waffenkrieg". Da dürfte auch die Aussage wenig hilfreich sein, dass die USA "nicht das Blut unschuldiger Menschen" vergießen wollen. Dies wirkt auf eben solche Menschen in einer solchen Bedrohungslage kaum glaubwürdig. Die Wirkung solcher News auf Teile der US-Bevölkerung hingegen dürfte von beruhigender Art sein und eine höhere Akzeptanz ziviler Opfer nahe legen, etwa mit Argumenten wie dem folgenden als Leitlinien: "Wir haben sie ja gewarnt. Und auf alles kann man ja auch nicht Rücksicht nehmen."

Zudem legen solche Nachrichten nahe, dass künftig eine groß angelegte Zerstörung innerafghanischer Infrastruktur zu erwarten ist. Auch die Nachrichten über Truppenkonzentrationen um Afghanistan ("Special operations troops await call to action, military officials say", Flugzeuge, Hubschrauber auf Flugzeugträgern usw.) bereiten darauf vor. Dieser Artikel gibt besonders "scharfe" "Mitteilungen" des Pentagon (mittels der oben genannten Rundfunkübertragungen) an die Gegner (Taliban, Bin Laden) wieder, es heißt unter anderem: " U.S. military radio broadcasts into Afghanistan by Air Force EC-130E Commando Solo aircraft are warning the ruling Taliban they will be destroyed not only by U.S. bombs and missiles but also by American helicopters and ground troops." Der Einsatz von Bodentruppen ist also in Kürze zu erwarten. Weiter: " "Our helicopters will rain fire down upon your camps before you detect them on radar," one message says in two of the local Afghan languages, according to transcripts provided by the Pentagon. "Our bombs are so accurate we can drop them right through your windows. Our infantry is trained for any climate and terrain on earth. United States soldiers fire with superior marksmanship and are armed with superior weapons," the message says."

Tübingen, 18.10.2001 - Peter Liehr

Weiteres zum Thema folgt am 08.11.2001 und, auf den Irak bezogen, am 27.03.2003.

Tübingen, 08.11.2001; Weilheim an der Teck, 27.03.2003 - Peter Liehr

Dies zusammen mit der vor diesen Zeilen wiedergegebenen Äußerungen von George W. Bush deutet voraussichtlich auf ein längerfristiges Blutvergießen hin. Ich vermute, darauf will Bush seine Bevölkerung einstimmen, wenn er sagt, ""You mark my words: People are going to get tired of the war on terrorism. And by the way, it may take more than two years," he said in an interview with Asian news editors."

Einen Eindruck von der Stimmung der Leserschaft dieser Artikel vermittelt das von dort aus anklickbare "America Responds Forum". Alles in allem scheinen die Nando Times eher von den Befürwortern der Militärschäge gelesen zu werden.

Die (verschwundene) Website "Campaign America"

USA: Im Islam gibt es eine Denkrichtung bzw. Koran-Auslegung, die fordert, dass Staatsführung und Religion nicht getrennt sein dürfen. "Campaign America", eine Seite in den USA, die zu Unterstützung und Liebe zum amerikanischen Militär aufruft, zeigt, dass auch in den USA von manchen eine Vermischung religiöser Praxis mit nicht originär religiösen Bereichen, hier dem Militär und der amerikanischen Nation an sich (höchst patriotischer Seitenhintergrund), propagiert wird. Die Seite, die sich, wie ich vermute, auf Angehörige US-amerikanischer Soldaten stützt, halte ich für gefährlich naiv und bedenklich, weil sie mithilft (ob willentlich oder nicht, auf jeden Fall nicht explizit in Worten), die Fronten des Konflikts religiös zu definieren, selbst wenn sie vorwiegend auf Gott allgemein und nicht ausdrücklich auf das Christentum Bezug nimmt.

Mögen die Mitwirkenden auch "nur" die Arbeit amerikanischen Militärs würdigen und den momentanen Konflikt außer Acht lassen wollen, so gilt dennoch: Dies geht zur Zeit einfach nicht, und an den o.g. Implikationen kann niemand interessiert sein, der in erster Linie um Deeskalation und eine Rückkehr zu friedlicheren Zeiten bemüht ist. Wäre ich selbst als Soldat im derzeitigen Konflikt im Einsatz, so wäre eine solche Seite auf jeden Fall mit das letzte, was ich mir wünschen würde.

Zitat aus Campaign "America": "God has given everyone many talents, and Maybe some can Show Their Love and Support To All of OUR Military by writing a poem." Dies steht unter dem grafisch groß aufgemachten Titel "Poetry In Motion For the Love of All Military Worldwide". Und dementsprechend sehen die Gedichte dann auch aus. Zu allem Überfluss ist die Seite noch mit dem "Campaign America Song" musikalisch hinterlegt, den mein Browser mir z.Z. jedoch nicht zu Gehör bringt. Fazit: Eine Seite zur Kenntnisnahme, keinesfalls aber zur (folgsamen) Beachtung. Und zu ihrer Unterstützung möchte ich auch nicht gerade aufrufen.

Tübingen, 18.10.2001 - Peter Liehr

Wie ich am 26.09.2002 feststelle, gibt es die Seite "Campaign America", die einst unter www.campaignamericaonline.org aufzurufen war, mittlerweile nicht mehr. Als Gründe für die "Abschaltung" könnte ich mir einerseits ähnliche Kritik vorstellen, wie ich sie selbst geäußert habe, andererseits fiel mir damals beim Betrachten der Seite zu meiner Verwunderung auch auf, dass im Rahmen dieser etwas seltsamen Lobrede an die Armee auch einzelne Militärstützpunkte namentlich genannt waren, die demnach vermutlich bei den militärischen Aktionen in Afghanistan eine Rolle gespielt haben. Sicherlich der (nachvollziehbare) Hauptgrund, eine solche Seite zu unterbinden.

Tübingen, 26.09.2002 - Peter Liehr

Deutschland: Die Deutsche Welle stellt auf ihren Seiten eine Literaturliste zum Thema "Bücher über den Islam" zur Verfügung.

Tübingen, 18.10.2001 - Peter Liehr

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