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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Donnerstag, 08.11.2001

Afghanistan

Radio Freies Afghanistan

Afghanistan: Der Krieg in den Medien vor Ort. Heute Morgen wird im Radio berichtet, in den USA sei beschlossen worden, ein "Radio Free Afghanistan" zu gründen. Es soll auf Pashtu (gesprochen von ca. 50 Prozent der afghanischen Bevölkerung) und Dari (gesprochen von ca. 30 Prozent der afghanischen Bevölkerung) senden. Bislang war schon davon zu hören, neben / zusammen mit den Lebensmittelabwürfen über dem Land seien auch Radiogeräte abgeworfen worden, die auf bestimmte Wellenbereiche beschränkt seien. Auf die Berichte über das Flugzeug, das, über Afghanistan kreisend, den Sender namens "Information Radio" ausstrahle, bin ich bereits am 18.10.2001 eingegangen. Ob es nach wie vor eingesetzt wird, zu welchen Zeiten und in welchen Sprachen es sendet, weiß ich nicht.

In der Vorlesung "Geschichte des Hörfunks" an der Universität Tübingen wird neben anderem dieser Einsatzzweck des Radios angesprochen: Radio zu u.a. propagandistischen Zwecken. Die Frage, ob sich die positive Erfahrung, die die USA während des Kalten Krieges mit "Radio Free Europe" gemacht haben, in Afghanistan wiederholen lassen, gibt zu Zweifel Anlass. Das Verbot sämtlicher elektronischer Medien durch die Taliban dürfte schon reichlich Wirkung gezeigt haben, außerdem ist nicht ganz klar zu ermitteln, wie sehr eine hungernde Bevölkerung dem Radiohören zugeneigt ist. Nach den letzten einigermaßen zuverlässigen Schätzungen (1990) sollen ungefähr 16,9 Millionen Menschen in Afghanistan leben, des weiteren heißt es, es seien ca. 170 000 Radiogeräte im Land vorhanden. (Dringende Bitte: All diese Zahlen mit großer Vorsicht "genießen"!) Zudem gebe es 60 bis 200 ethnische Gruppen - und schon die Ungenauigkeit dieser Zahlen zeigt, wie wenig wir über dieses Land eigentlich wissen. Genauere Angaben über die Verhältnisse können offenbar bis maximal 30 km links und rechts von landesweiten Hauptverkehrsadern (Straßen) gemacht werden, und davon gibt es entsetzlich wenige.

Bildkultur vs. Wortkultur

Bislang sendet der BBC World Service schon auf Pashtu. Wie viele Hörer er findet, weiß ich nicht, und ob er als glaubhaft und "neutral" empfunden wird, jetzt, da sich auch Großbritannien an den Militärschlägen beteiligt, weiß ich ebenso wenig. Eine sehr einleuchtende Auffassung wird in der o.g. Vorlesung "Geschichte des Hörfunks" angesprochen: dass im derzeitigen Konflikt eine Bildkultur auf eine Wortkultur prallt. Man denke nur an die Dominanz und Allanwesenheit der Bilder vom Einsturz der Doppeltürme in New York. Dem gegenüber repräsentiert Afghanistan eine islamische Kultur, in der der Koran und damit das geschriebene Wort als heilig betrachtet wird. Infolgedessen dürfte die Gestaltung der Radioprogramme für Afghanistan seitens der USA eine sehr schwierige Aufgabe sein. Die Radiomacher, vermutlich in der "Bildkultur" sozialisiert, müssen diese in Radio-taugliche Sprache fassen und sich des weiteren hinein versetzen in die "Wortkultur" des Zielpublikums, von dem sie aller Voraussicht nach nicht allzu viel wissen, insbesondere, was die abgelegenen Regionen angeht. Bei diesen Gegenden ist jedoch in vielen Fällen ohnehin fraglich, ob sie, "geschützt" durch tiefe Täler in einer sehr zerklüfteten Landschaft, mit den Mitteln des Radios überhaupt zu erreichen sind.

Tübingen, 08.11.2001 - Peter Liehr

Weiteres zum Thema findet sich am 08.11.2001 und, auf den Irak bezogen, am 27.03.2003.

Weilheim an der Teck, 27.03.2003 - Peter Liehr

Afghanistan: Fortsetzung der Luftangriffe. Zudem wird über verstärkte Kämpfe der Nordallianz um die nordafghanische Stadt Masar-i-Scharif berichtet.

Tübingen, 08.11.2001 - Peter Liehr

Deutschland: Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigt an, er wolle Abweichler in den Reihen der eigenen Fraktion, also SPD-Abgeordnete, die einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnend gegenüberstehen, durch Einzelgespräche "auf Kurs" bringen. Dem gegenüber wird auf der Tagung des Evangelischen Kirchentags in Amberg an die Bundestagsabgeordneten appelliert, sie sollten bei ihrer Entscheidung für oder gegen einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan einzig ihrem Gewissen folgen. Gleichzeitig wurde allerdings auf dem Kirchentag auch betont, der Terrorismus könne durch einen Verzicht auf Gewalt auch nicht verhindert werden.

Tübingen, 08.11.2001 - Peter Liehr

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