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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Donnerstag, 27.03.2003

Bei meinen heutigen Einträgen stütze ich mich überwiegend auf Informationen von Radio SWR 2.

Der Krieg im Irak als alles dominierendes Thema

Angesichts der Kriegsberichterstattung über den Irak gibt es in diesen Tagen zumindest im Radio kaum Berichte über das Geschehen in anderen Krisenregionen. Von der Lage in Nordkorea habe ich seit einigen Tagen nichts mehr gehört, vom Israel-Palästina-Konflikt wird heute folgendes gemeldet: In Beit Hanun im Gazastreifen töten israelische Soldaten drei palästinensische Polizisten.

USA; Irak: Amerikanische Soldaten bauen im Nordirak eine zweite Front auf. In dem von Kurden kontrollierten Gebiet sichern mittlerweile Fallschirmjäger der USA einen Flughafen. Zugleich kommt es im Süden zu schweren Gefechten mit gravierenden Pannen bei der Freund-Feind-Unterscheidung. US-Soldaten sind dem Beschuss der eigenen Landsleute ausgesetzt, bei Nassiria werden sie von Granaten der eigenen Truppen getroffen. In der vergangenen Nacht wie auch am heutigen Tag fallen wieder Bomben auf Bagdad. Bei Basra zerstört die britische Armee offenbar einen großen Konvoi irakischer Panzer und Kampffahrzeuge, die die Stadt gerade verlassen hatten. Wie viele dieser Meldungen stimmmen, wie ausgewogen oder unausgewogen sie sind, vermag ich nicht zu sagen.

USA; Irak: Die USA setzen zunehmend auf Propagandasender, die im Irak die Moral der gegnerischen Truppen untergraben und die irakische Führung zum Aufgeben bewegen sollen. Darüber berichtet am Morgen Radio SWR 2. Das Programm des seit Juni 1998 aus Prag sendenden Kurzwellensenders "Radio Freies Irak" ist offenbar weitgehend unabhängig und entspricht in der Ausrichtung ungefähr dem Sender "Radio Freies Europa", der sich während des Kalten Krieges an die Staaten des Warschauer Pakts wandte. Hinter insgesamt sechs anderen Sendern vermutet ein finnischer Kurzwellenexperte die USA. "Radio Tigrit" (Name der Geburtsstadt Saddam Husseins, aus der auch viele andere Regierungsmitglieder stammen) richtet sich besonders an die irakische Führung, "Information Radio", ein Sender, den es auch schon während der Befreiung Afghanistans gab und der aus speziell umgebauten Hercules-Flugzeugen gesendet wird, die auf verschiedenen Wellenbereichen (auch UKW und Fernsehprogramme) senden können, richtet sich stärker an Zivilbevölkerung und Militär (vgl. meine Einträge am 18.10.2001 und 08.11.2001). Offenbar werden die Sender gehört und haben Erfolg, viele Menschen sollen ihren Anweisungen gefolgt sein und so ihr Leben gerettet haben. Selbst wenn diese Einschätzung zutrifft, so ist dies doch ein äußerst zynisches Lob auf die heilbringende Wirkung des propagandistischen Teils des Krieges.

"Embedded Journalism" - "Embedded Help"?

USA; Irak: Viele Hilfsorganisationen befürchten in diesen Tagen, militarisiert, von den Kriegsparteien missbraucht oder in ihrer Unabhängigkeit beschnitten zu werden. Das Problem der politisierten humanitären Hilfe scheint sich abzuzeichnen, auch dürfen womöglich unabhängige Organisationen nicht alles zu Gesicht bekommen, was der Krieg an Folgen für die leidende Bevölkerung mit sich bringt. So sollen unabhängige Hilfseinrichtungen wie "Ärzte ohne Grenzen" offenbar keinen Zugang zu bedrohten Bevölkerungsteilen bekommen, ihre Aufgaben werden statt dessen womöglich von bewaffneten Militärs in Zivil übernommen. Nichtmilitärische Hilfsorganisationen laufen somit Gefahr, mit dem Militär verwechselt zu werden - sehr gegen ihren Willen. Hier scheint sich ein Phänomen im humanitären Bereich abzuzeichnen, das bereits aus dem Bereich der Berichterstattung bekannt ist: So wie es "embedded journalists", ins Militär "eingebettete Journalisten" gibt, die mit der Truppe und unter deren Bedingungen leben, direkt auf Panzern oder Flugzeugträgern mitfahren und somit eine fast ausschließlich "soldatische" Sicht des Krieges vermitteln, so scheint nun das, was ich hier mit einer eigenen Begriffsschöpfung einmal "embedded help" nennen möchte, ein Parallelphänomen dazu zu werden. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es zunächst einmal sehr zu begrüßen ist, wenn leidenden Menschen geholfen wird, stellt sich die Frage, ob diese - offensichtlich auch im Weltsicherheitsrat umstrittene - "embedded help" wünschenswert ist. Dabei ist kritisch zu hinterfragen, in wieweit es sich dabei um eine Werbeveranstaltung für das Militär handelt.

Ich vermute, dass diejenigen, die diesen Krieg als gerechtfertigt und notwendig betrachten, die geschilderte Problemlage für wenig relevant oder gar nicht gegeben erachten. "Where's the problem? As long as the military has a good cause..."

Mit dem Thema "Politisierte humanitäre Hilfe" setzte ich mich bereits am 04.10.2001 angesichts des Afghanistan-Krieges auseinander.

Weilheim an der Teck, 27.03.2003 - Peter Liehr

"Embedded Journalism" - eingebettetes Manipulationsrisiko

Deutschland; Irak: Im ARD-Fernsehmagazin "Panorama" wird aufgezeigt, dass zahlreiche Fernsehbilder der "Embedded Journalists" a) gestellt sind und b) häufig mit völlig unterschiedlichen interpretativen Texthintergründen gesendet werden.

Deutschland; Irak: Ebenfalls im Fernsehmagazin "Panorama" wird ein Bericht über Katar gesendet, wo sich der Hauptstützpunkt der US-Truppen im Kampf gegen den Irak befindet. Der jetzige Innenminister Katars, der zur Zeit für die Sicherheit der US-Truppen mitverantwortlich ist, hatte früher Kontakte zu Al Quaida (offenbar auch zu Osama Bin Laden persönlich) und warnte offenbar ein wichtiges Al-Quaida-Mitglied rechtzeitig vor der Festnahme durch Mitglieder des US-Geheimdienstes.

Deutschland; Israel-Palästina-Konflikt: Ein weiteres Anliegen der Panorama-Sendung von heute ist es, wenigstens einige der Geschehnisse ins Blickfeld zu nehmen, die aufgrund des beständigen Hauptaugenmerks der Berichterstattung auf dem Irak-Krieg untergehen, so z.B. der Tod einee 23-jährigen Palästinenserin, die sich einem Planierfahrzeug der israelischen Armee in israelischen Siedlungsgebieten entgegenstellte und überrollt wurde. Oder das mittlerweile in Deutschland verfassungsgerichtlich abgesegnete Abhören der Telefonaten von Journalisten mit Informanten, die daher künftig voraussichtlich nicht mehr von sich aus bei Journalisten anrufen werden.

Tübingen, 31.03.2003 - Peter Liehr

Der Krieg wird teuerer als geplant. Die britische Regierung will nun statt der ursprünglich veranschlagten 1,75 Milliarden Pfund nun 3 Milliarden Pfund, also rund 4,4 Milliarden Euro ausgeben.

Heidelberg, Baden-Württemberg, Deutschland; Vereinte Nationen: In Heidelberg findet die "World Model United Nations Conference" statt - ein Rollenspiel, bei dem sich junge Menschen aus aller Welt, meist Studierende, als Vertreter der in der UNO vertretenen Länder (nicht zwangsläufig ihre Herkunftsländer) mit der derzeit prekären weltpolitischen Lage auseinandersetzen - und sich in zahlreichen Fällen auch auf eine Laufbahn als künftige Politiker oder Diplomaten vorbereiten. Einige unter ihnen vertreten Länder, die derzeit eine grundlegend andere Interessenlage und Sicht der Dinge haben als ihre Herkunftsländer. So "vertreten die USA Frankreich" und "die Türkei den Irak".

Russischer Raketentest

Russland: Das russische Militär testet eine SS-25-Rakete, um, so russische Angaben, die Funktionsfähigkeit des nuklearen Abwehrschilds zu überprüfen.

Deutschland: Auf ihrer Frühjahrsvollversammlung äußern sich die deutschen Bischöfe unterstützend über die Demonstrationen gegen den Krieg.

Weilheim an der Teck, 27.03.2003 - Peter Liehr

"Mit Feindesliebe gegen Gotteskrieger"

Unter diesem Titel steht eine von der Volkshochschule Gerlingen im Gerlinger Rathaus veranstaltete Podiumsdiskussion, die ich am heutigen Abend besuche.

Gerlingen, 27.03.2003 - Peter Liehr

Deutschland; Irak: Jürgen Hahnel, Deutscher, der sich bislang als menschliches Schutzschild im Irak in einer Raffinerie aufhält und dort versucht hat, einen Angriff zu verhindern, wird von der irakischen Regierung ausgewiesen. Der offiziellen regierungsseitigen Begründung zufolge ist das hohe Sicherheitsrisiko der Grund dafür. Näheres über die menschlichen Schutzschilde ist unter der Internetadresse www.humanshields.org zu erfahren.

Tübingen, 28.03.2003 - Peter Liehr

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