www.peter-liehr.de

Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Mittwoch, 12.12.2001

Bei den heutigen Eintragungen stütze ich mich im folgenden auf Radiomeldungen von SWR 2.

Tübingen, 12.12.2001 - Peter Liehr

Der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern

Israel-Palästina-Konflikt: Es sei fraglich, ob die Palästinenser länger zusehen könnten, wenn ihre Kinder sterben und die internationale Staatengemeinschaft nichts unternähme. So äußert sich sinngemäß Palästinenserpräsident Yassir Arafat. Was wiederum andeutet, dass es ihm offenbar nicht gelingt, radikale Palästinenser von weiteren Selbstmordanschlägen abzuhalten. Eine durchaus nicht unglaubwürdige Einschätzung und ein weiteres Anzeichen dafür, wie verfahren die Situation ist. Entsprechendes, nämlich dass ihre Kinder sterben, können auch die Israelis behaupten, gerade nach den palästinensischen Selbstmordanschlägen vom vorletzten Wochenende, bei denen zu gewichtigen Anteilen israelische Jugendliche ums Leben kamen.

Die beiden Lager, Israelis und Palästinenser, sind allem Anschein nach wirklich nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft einen Weg zum Frieden zu finden. Auch an einen Friedensprozess der kleinen, aber stetigen Schritte ist derzeit offensichtlich nicht mehr zu denken. Die unbarmherzig-grausame Radikalität der Selbstmordanschläge radikaler palästinensischer Gruppen verhindert die Möglichkeit zu einer erneuten sachlichen Diskussion der beiden Lager ebenso wie der für mich nicht, zumindest nicht nachvollziehbar erkennbare Friedenswille der israelischen Regierung, die sich in ihrer harten Haltung den Palästinensern gegenüber derzeit jedoch der Unterstützung und des Rückhalts in der Mehrheit der eigenen Bevölkerung gewiss ist. An eine Rückkehr zu friedensstiftenden Verhandlungen unter dem Vorzeichen "Land gegen Frieden" ist momentan wohl kaum zu denken. Für die Palästinenser nicht angesichts der unter dem derzeitigen israelischen Ministerpräsidenten Scharon in der Vergangenheit wieder verstärkten Siedlungspolitik, mit der Israelis in den palästinensisch besetzten Gebieten angesiedelt wurden, für die Israelis nicht angesichts der Selbstmordanschläge radikalpalästinensischer Gruppen.

Friedensplan statt Friedensprozess?

Ich erinnere mich an den Vortrag vom 14.11.2001, in dem der Vortragende, Dr. Mohamed Rabie die Auffassung vertrat, es habe sich schon hinreichend erwiesen, dass ein Friedensprozess keine Chancen auf Erfolg habe und die beiden Seiten es von sich aus nicht schaffen könnten, miteinander Frieden zu stiften. Lediglich ein mit beiden Seiten vereinbarter, aber von außen auferlegter und stringent durchgesetzter Friedensplan könne möglicherweise noch zum Frieden führen. Nur: Was soll "von außen" heißen? Welche Staaten, welche Gemeinschaft, welche Kombination friedensvermittelnder Vertreter von Staaten könnte von beiden Seiten akzeptiert werden? Und: Wer würde es tun bzw. es tun wollen? Kurzum: Der Gedanke an einen Friedensplan wirkt zur Zeit reichlich utopisch.

Israelischer Armeeangriff im Gaza-Streifen: Gegen Mitternacht des gestrigen Tages greifen israelische Hubschrauber an. Sie kehren kurze Zeit später zurück, gleichzeitig greifen auch israelische Bodensoldaten an. Zu diesem Zeitpunkt hat sich jedoch schon eine Schar Schaulustiger angesammelt, die den Schaden begutachteten. Nach Angaben palästinensischer Ärzte kamen zwei Polizisten und zwei Zivilisten ums Leben, etwa 30 seien verletzt worden, davon seien acht in einem kritischen Zustand.

Tübingen, 12.12.2001 - Peter Liehr

Ereignisse in Israel im Laufe des Tages: Bei erneuten palästinensische Attentaten kommen zehn Palästinenser ums Leben. Daraufhin werden von Israel zahlreiche Gebiete im Westjordanland und im Gaza-Streifen bombardiert. Arafat wird daraufhin kaltgestellt und zur Unperson erklärt. Scharon wird mit den Worten zitiert: "Für uns existiert Arafat nicht mehr. Punkt." Eine offiziellen parlamentarischen Abstimmung scheint es nicht zu bedürfen, es scheint den Radio-Berichten nach im israelischen Parlament einheitlich Zustimmung zu geben.

Tübingen, 13.12.2001 - Peter Liehr

Raketenabwehrpläne der USA

USA: Die USA wollen den ABM-Vertrag von 1972 kündigen. US-Präsident George W. Bush will ein Raketenabwehrsystem gegen Interkontinentalraketen bauen. Seit seinem Amtsantritt versucht er, den Vertrag in Absprache mit Russland dahingehend abzuändern, dass er begrenzte Raketenabwehrsysteme zulässt. Dies gelang jedoch offenbar nicht. Die Meldung kommt zum gleichen Zeitpunkt wie das Versprechen der USA, die Zahl ihrer strategischen Atomsprengköpfe zu reduzieren, eine entsprechende Option bestand offenbar von Anfang seitens der US-Regierung an als Verhandlungsangebot. Es wird erwartet, dass die russische Regierung, anstatt die zu erwartende Vertragskündigung zu akzeptieren, möglicherweise doch noch einmal über eine Vertragsabänderung verhandelt.

Nach US-Angaben richtet sich das Raketenabwehrsystem gegen sogenannte (bzw. so stigmatisierte) "Schurkenstaaten". (Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber den hier gemeinten Staaten - es werden z.B. Lybien, der Irak und Nordkorea ins Gespräch gebracht - halte ich nichts von einer pauschalen Stigmatisierung mittels eines Schlagwortes. Berechtigte Vorbehalte gegenüber Staaten können sich so nämlich rasch zu nicht haltbaren Vorurteilen gegenüber Einzelmenschen aus diesen Ländern bzw. gegenüber ihrer Gesamtbevölkerung ausweiten. "Alles Schurken!" Alles Schurken?)

Afghanistan: Der harte Kern der Söldner Bin Ladens befindet sich in der Festung Tora Bora nun offenbar in einem Territorium, das so klein ist, dass es nicht mehr lange zu verteidigen sein wird. Die Festung scheint in den letzten Tagen mit den "Daisy Cutters" genannten großen Benzinbomben nun fast sturmreif geschossen worden zu sein. Den besagten Kämpfern von Al Quaida bleiben voraussichtlich die Alternativen, entweder bis zum bitteren Ende zu kämpfen oder zu fliehen, voraussichtlich in Richtung des nahen Pakistan. Letzteres ist auch nach US-Einschätzung möglich und wahrscheinlich. Die umfassende Kontrolle der Region ist für die zuverlässige Verhinderung einer Flucht zu schwierig, und die USA hoffen darauf, dass Pakistan es schafft, seine Grenze ausreichend zu kontrollieren, um eventuelle Flüchtlinge aufzugreifen. Noch wird um Tora Bora verhandelt und gleichzeitig gekämpft. B52-Bomber greifen nach wie vor an.

"Kalifatsstaat"-Verbot in Deutschland

Deutschland: Der deutsche Bundesinnenminister Schily verbietet die islamistische Vereinigung "Kalifatsstaat", ebenso die dazugehörige Stiftung "Diener des Islam" sowie zahlreiche Teilorganisationen. Dieses Verbot wurde durch die Aufhebung des Religionsprivilegs möglich. Der Leiter der mit geschätzten 1 000 Anhängern vergleichsweise kleinen Organisation "Kalifatsstaat" Kaplan (auch bekannt als "der Kalif von Köln") sitzt wegen des Aufrufes zum Mord an einem Konkurrenten in Haft und hat derzeit etwa zwei Drittel seiner Haftzeit abgesessen. Der "Kalifatsstaat" wurde bereits im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2000 als antidemokratisch und antisemitisch bezeichnet. Er verstößt durch seine Agitation gegen die Türkei, Israel und andere Länder gegen den Gedanken der Völkerverständigung und untergräbt die Demokratie, indem er die göttliche Institution Allah als mit ihr unvereinbar darstellt. Nicht nur der "Kalifatsstaat" stellt ein Problem dar. Die Anzahl extremer Islamisten in Deutschland wird auf insgesamt bis zu 30 000 geschätzt.

Da Kaplan schon vor Jahren den größten Teil seines Besitzes einer Stiftung in Holland übertrug, ist dieser vor dem Zugriff Deutschlands geschützt. Beabsichtigt ist, Kaplan in die Türkei abzuschieben. Ihm wurde die "Alternative", in die Türkei zu gehen, offenbar schon angeboten, er lehnte aber ab und zog es vor, die volle Haftzeit abzusitzen. Dennoch: Die Pläne einer Abschiebung Kaplans bestehen immer noch, zuvor müsse laut Schily jedoch von der türkischen Regierung der Verzicht auf eine Todesstrafe für Kaplan zugesichert werden. Als Problem erweist sich, dass Kaplan 1992 in Deutschland Asyl gewährt wurde und zu seiner Abschiebung ein Verfahren zur Auflösung seines Asylanspruchs angestrengt werden müsste - trotz der meiner Meinung nach im deutschen Demokratie- und Rechtsverständnis zweifellosen Unvertretbarkeit von Kaplans Positionen also eine durchaus problematische und uneindeutige Situation.

Minen und Streubomben

Vereinte Nationen: In Genf wird zur Zeit auf der zweiten Überprüfungskonferenz bzgl. der Ächtung bestimmter Waffen im Sinne der Genfer Konvention über die Gefährlichkeit von Streubomben und Panzerabwehrminen disuktiert. Derartige Konferenzen sollen alle fünf Jahre stattfinden.

30 Prozent der Streubomben, die zur Zeit über Afghanistan abgeworfen werden, explodieren nicht, sind also Blindgänger, die noch lange Zeit später von sich aus oder durch Berührung explodieren und Unschuldige töten oder grausam verstümmeln können. Oft handelt es sich bei den Opfern um Kinder, die von der Gefährlichkeit der Waffe noch keine Ahnung haben können.

Selbstzerstörungsmechanismen bei einigen Minen und Bomben, die dem vorbeugen sollen, funktionieren offenbar meist nur unzureichend und dienen wohl eher als Legitimierung für die nach der Genfer Konvention eigentlich nicht legitimierbaren Waffen, die somit seit 21 Jahren nicht mehr eingesetzt werden dürften. Eigentlich. Es besteht allerdings wenig Aussicht darauf, dass die Waffen geächtet werden, auch nicht von Deutschland, sie werden als zu kriegswichtig angesehen, als dass man auf sie vezichten könnte. In Ex-Jugoslawien liegen rund 20% der von den Alliierten abgeworfenen Streubomben noch undetoniert herum.

Tübingen, 12.12.2001 - Peter Liehr

Peter Liehr > Gedanken und Notizen > Chronologisch > Geschichte, Politik, Kultur > Mittwoch, 12.12.2001
www.peter-liehr.de
liehr.free.fr