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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Sonntag, 21.11.2004

Bei meinen heutigen Eintragungen stütze ich mich vorwiegend auf Meldungen von Radio SWR 2 und SWR 1.

Ukraine

Präsidentschafts-Stichwahl in der Ukraine - Wahlbetrug

Ukraine: Präsidentschafts-Stichwahl, bei der ein Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Kucmar gewählt werden soll. Zur Wahl stehen der von Moskau favorisierte Kandidat Janukovic sowie der Oppositionsführer Juschtschenkow, dessen Sieg sich abzeichnet. Der Osten des Landes fühlt sich mehr Russland verbunden, der Westen eher der EU. Dieser Riss durch die ukrainische Bevölkerung spiegelt sich in den entgegengesetzten Ausrichtungen der beiden gegeneinander antretenden Kandidaten. Die OSZE stellte bereits beim ersten Wahlgang gravierende Fehler fest: Wahlunterlagen verschwanden, es kam zu Gewalt, nicht zuletzt von Seiten der Polizei. Es wird erwartet, dass es beim heutigen zweiten Wahlgang nicht grundlegend anders werden wird.

Die Stichwahl wird erwartungsgemäß von Zwischenfällen überschattet. In einem Wahllokal wird ein Polizist ermordet, in einem anderen verschwinden sämtliche Wahlzettel. Des Weiteren wird berichtet, dass vorausgefüllte Wahlzettel gefunden werden, Wahllokale wegen Sprengstoffwarnungen geschlossen und nicht wieder geöffnet werden. Außerdem besteht offenbar die Möglichkeit, sich per Bustransfer in andere Städte bzw. Distrikte bringen zu lassen und dort erneut zu wählen. Im Fernsehen sind Oppositionsanhänger zu sehen, die sich unter solcherlei "Wahltourismus-Busse" legen, um sie am Abfahren zu hindern. Ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften, u.a. mit Wasserwerfern ausgestattet, ist vor dem Parlamentsgebäude zusammengezogen worden.

Mehr als 100 000 Anhänger des unterlegenen Kandidaten Juschtschenko demonstrieren in den Straßen Kiews, nachdem der pro-russische Kandidat Janukowitsch mittels offensichtlicher Wahlmanipulation zum Sieger erklärt wird. Unter Rufen wie "Para!" ("Es ist Zeit!") fordern die Demonstrierenden, dass eine neue Wahlkommission gegründet, ein neues Wahlgesetz verabschiedet und die internationalen Kontrollen verstärkt werden müssten. Bemerkenswerter Weise stellte und stellt sich die Oppositionsbewegung nie ausdrücklich hinter den Oppositionsführer, sondern fordert nichts weiter als faire Wahlen, zu denen es nun nicht kam. Angesichts der zugespitzten Lage meint Janukowitsch schließlich, jedes Menschenleben wäre ihm wichtiger als die Macht, was die Lage zunächst entspannen sowie darauf hindeuten könnte, dass er als "Manipulations-Gewinner" möglicherweise begriffen hat, dass es so nicht geht.

Europäische Union; USA; Ukraine: EU-Außenkommissar Solana ist sich sicher, dass es in der Ukraine zu Wahlbetrug gekommen ist. Er bezeichnet die Wahl als Nagelprobe für die künftigen Beziehungen der EU zur Ukraine. Eine Kommission des EU-Parlaments soll nun nach Kiew reisen, um mit dem noch amtierenden Präsidenten Kucmar zu reden und zu betonen, dass in einem Staat, der Teil Europas sei, auch demokratische Spielregeln nach europäischem Muster gelten sollten. Der internationale, u.a. von Deutschland, Frankreich und den USA ausgehende Druck ist immens. Es ist bereits die Rede von Sanktionen, kurzum: Die augenblickliche Machtprobe droht eine große innen- und außenpolitische Krise auszulösen.

Deutschland

Köln, Nordrhein-Westfalen, Deutschland: Über 20 000 überwiegend muslimische Demonstrierende nehmen in Köln an einer Kundgebung gegen religiös motivierte Gewalt bzw. gegen die Rechtfertigung von Gewalt mit religiösen, Argumenten teil. Die hiesige Demonstration, die von der Türkisch-Islamischen Union veranstaltet wird, deren Einladung Muslime aus dem gesamten deutschen Bundesgebiet gefolgt sind, wendet sich speziell gegen die Rechtfertigung von Gewalt im islamischen Kontext. Am Nachmittag sprechen die Landesinnenminister Nordrhein-Westfalens und Bayerns Behrens und Beckstein vor der versammelten Menge. Günther Beckstein fordert die Muslime zur Integration auf und hält sie dazu an, Extremisten in ihren Reihen zu melden.

Deutschland: Der EKD-Ratsvorsitzende Huber spricht sich dafür aus, dass in Deutschland Prediger in Moscheen in deutscher Sprache predigen sollten. Huber setzt bei diesem von der baden-württembergischen Landesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) jedoch auf Freiwilligkeit, einen gesetzlichen Zwang dazu lehnt er jedoch ab.

Berlin, Deutschland: Abschluss des G20-Gipfels in Berlin.

München, Bayern, Deutschland: In einem Bürgerentscheid entscheidet die Münchener Bevölkerung, dass in München keine Hochhäuser gebaut werden dürfen, die höher als 100 m sind. Der von Ex-Bürgermeister Kronawitter gemachte Vorschlag kann sich damit gegen die Absichten des amtierenden Bürgermeisters Ude sowie gegen sämtliche im Stadtrat vertretenen Fraktionen durchsetzen.

Bagdad, Irak: Am 30.01.2005 wird, wie die Wahlkommission heute entscheidet, im Irak ein neues Parlament gewählt werden. Der Termin ist denkbar knapp angesetzt und es wird befürchtet, die Methode der Wählerregistrierung, für die man sich entschied, werde der Manipulation Tür und Tor öffnen. In manchen Orten drohen Aufständische, jeden zu ermorden, der sich zur Wahl registrieren lässt.

Irak: Am Morgen führt in Bagdad die Detonation einer Autobombe während der Vorbeifahrt eines US-Militärkonvois zu mehreren Opfern. Des weiteren gehen im Stadtzentrum von Mossul mehrere Mörsergranaten hoch, mindestens zwei Tote sind zu beklagen. Bei Kirkuk wird eine Ölpipeline in Brand gesteckt.

Schwellenländer: Die führenden Schwellenländer einigen sich auf einen neuen Umgang mit hochverschuldeten Ländern. Heute endet das Finanzministertreffen.

USA; Israel-Palästina-Konflikt: Noch-US-Außenminister Colin Powell reist zu Gesprächen in die Israel-Palästina-Konfliktregion.

Tübingen-Bühl, 21.11.2004 - Peter Liehr

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