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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Donnerstag, 11.09.2003

Bei meinen heutigen Eintragungen beziehe ich mich vorwiegend auf Meldungen von Radio SWR 2 sowie den Tagesthemen im ARD-Fernsehen.

Tübingen, 11.09.2003 - Peter Liehr

Zwei Jahre danach

Die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon bei Washington sind heute genau zwei Jahre her. Lokal in meinem Wohnumfeld Tübingen künden im voraus kaum besondere Veranstaltungen oder sonstige Hinweise von dem Datum. Auch in den von mir vorwiegend gehörten Radiosendern ist im Vorfeld des Tages nur wenig Rückblickstimmung zu vernehmen. (Radio SWR 2 geht laut Monatsprogramm im Musikfeuilleton zwischen 22.05 und 23.00 Uhr in einer historischen Collage auf das Thema 11. September ein. Gemeint ist jedoch hauptsächlich und vorwiegend der 11.09.1903, der Geburtstag von Theodor W. Adorno, der sich heuer zum hundertsten Male jährt.) Im Fernsehen und in der Presse werden nach Aussagen meiner Bekannten seit den Ereignissen selbst ständig Beiträge über den 11.09.2001 und seine Hintergründe veröffentlicht, ich selbst schaffe es jedoch nicht, all das zu verfolgen.

Tübingen, 01.09.2003 und 10.09.2003 - Peter Liehr

Spiegel online hat eine rückblickende Artikelsammlung unter dem Titel "Zwei Jahre danach - Bushs endloser Kampf gegen den Terror" zusammengestellt.

Tübingen, 07.10.2003 - Peter Liehr

Die Gedenkveranstaltung in New York, so berichtete gestern Rainer Südfeld in der Sendung Zeitlupe auf Radio SWR 2, wird kleiner als im Vorjahr ausfallen, US-Präsident George W. Bush wird nicht in New York sprechen, die Erinnerung findet mehr und mehr im Privaten statt.

Tübingen, 10.09.2003 - Peter Liehr

Vor Ort in New York ist der Tag von zahlreichen Schweigeminuten und Momenten des In-Sich-Gehens geprägt. 200 Kinder verlesen die Namen der 3 021 Opfer, die beim Einsturz der Zwillingstürme des World Trade Centers ums Leben kamen. Offenbar vor nur kurzer Zeit wurde US-Vizepräsident Dick Cheney von der New Yorker Gedenkveranstaltung ausgeladen. Die für sein Beisein nötigen Sicherheitsvorkehrungen wären nicht mit den Bedürfnissen der Angehörigen der Toten vereinbar gewesen. Während einer anderen, kleineren Veranstaltung zum berichtet Cheney von Fortschritten beim Kampf gegen den Terror.

Tübingen, Baden-Württemberg, Deutschland: "Workers at Ground Zero - A Glimpse Behind the Scenes" Unter diesem Titel wird heute Abend um 19.15 Uhr im Deutsch-Amerikanischen Institut Tübingen eine Ausstellung mit Fotos von den Rettungs- und Aufräumarbeiten in New York von X Bonnie Woods aus Boston eröffnet, die Fotografin ist bei der Vernissage anwesend. Die Bilder sind bis zum 17.10.2003 zu sehen, der Eintritt ist frei.

Im französischen Radiosender Europe 1 wird ein Kinderpsychologe interviewt, der über kindliche Reaktionen seit dem 11.09.2001 berichtet und Hinweise zum Umgang mit kindlichen Fragen zum Thema Terror und Gewalt gibt. Das Gespräch erinnert an die Tage direkt nach den Terroranschlägen, in denen sehr häufig solche an Eltern gerichteten Interviews gesendet wurden.

Ich muss mich korrigieren: Es gibt in der Tat einiges zum zweiten Jahrestag des 11.09.2001 in den Medien. Am Abend schaue ich mir - mittlerweile zum zweiten Mal - im Fernsehen jenen bekannten Film zweier junger französischer Kameramänner über die Feuerwehrleute an, die am 11.09.2001 als erste im World Trade Center zu retten versuchten und die nicht mehr zu rettende Situation in den Griff bekommen wollten. Ein bei aller Wucht der Ereignisse angemessen zurückhaltender, pietätvoller Film, aus der subjektiven Ausgangslage Überlebender gesehen, die darum ringen, die Geschehnisse zu verstehen. Ein davor gesendeter Film macht deutlich, dass es am 11.09.2001 in der New Yorker Finanzbranche nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner, besser gesagt, Gewinnler gab. Gelder wurden im Chaos des Augenblicks von schlauen und moralisch wenig skrupelhaften Vermögensverwaltern entwendet und z.B. nach Ungarn und insbesondere auch nach Russland "in Sicherheit" gebracht.

Zwischenbilanz: Veränderung von Welt und Weltpolitik seit den Terroranschlägen

In der Diskussionssendung Forum auf Radio SWR 2 wird eine Art Zwischenbilanz über die Veränderung der politischen Gesamtvorgehensweise der US-Regierung innerhalb der vergangenen zwei Jahre versucht. Zwei Kriege hat US-Präsident George W. Bush nun gegen den Terror geführt. Der Irak dürfte kaum mehr zu befrieden sein, im Guerillakrieg danach bereits mehr US-Soldaten gestorben als während des eigentlichen Krieges der USA gegen die Hussein-Diktatur. Hinter den meisten Anschlägen im Irak werden Saddam-Hussein-Anhänger vermutet werden. Es gibt auch wieder zunehmend Spekulationen, dass Al Quaida und Hussein-Anhänger sich nun doch zusammentäten. Ironische Situation: In solch einem Falle hätten die USA mit dem Krieg im Irak genau das erreicht, was zuvor nicht der Fall war und wogegen sie dennoch kämpften.

Länder wie Deutschland wollen nur dann Hilfe leisten, wenn die Vereinten Nationen in entscheidendem Maße in den Wiederaufbau des Irak einbezogen werden. Auf allen Seiten geht es sicherlich auch um finanzielle Interessen in diesem zerrütteten Land. In der irakischen Bevölkerung selbst wird derweil geraten, wer hinter den gegen US-Truppen gerichteten Anschlägen steckt. Oft wird die Schuld denjenigen zugeschoben, die einem gerade am unangenehmsten sind, darunter auch die US-Truppen selbst.

Ein Vorwurf, der hervorzuheben ist, besagt, dass die US-Truppen zwar besonders auf Sicherheit achten, jedoch vorrangig auf ihre eigene und nicht auf die der Iraker. Auch leiden viele Iraker darunter, dass es ihnen schlechter geht als unter der Diktatur. Es gibt folglich viele enttäuschte Hoffnungen, die Versprechungen der US-Propaganda vor, während und unmittelbar nach dem Krieg wurden nicht eingelöst.

Zudem gibt es auch im Irak Gewinnler, also Gruppierungen, die ein lebhaftes Interesse daran haben, dass Chaos im Land herrscht, gerade um einen Erfolg bei der Befriedung des Landes zu verhindern. Deren gibt es durchaus zu Genüge. Manche davon sind vermutlich Islamisten, andere sind am Aufbau z.B. mafiöser Strukturen zum eigenen Wohl interessiert und wollen aus diesem Grund das Entstehen eines funktionsfähigen Staates möglichst frühzeitig verhindern. Und der muss erst entstehen. Der Staat und seine Struktur wurde nach Kriegsende nämlich vollständig zerschlagen, nach Aussagen eines der Diskussionsteilnehmer wurde selbst der "kleinste" Verkehrspolizist entlassen, also Leute, die in vielen Fällen als unpolitisch und nicht als Regimeanhänger zu betrachten sind.

Ich persönlich sehe in diesem Fall ein potentielles Dilemma. Wäre den USA nicht von mancher Seite mangelnde Konsequenz und fehlende Gründlichkeit vorgeworfen worden, wenn sie sich in dieser Hinsicht nachgiebiger verhalten hätten? Wurde ihnen doch - und meinen gewiss nicht überragenden historischen Kenntnissen zufolge durchaus nicht ungerechtfertigt - eine sehr selektive Haltung bei der Entnazifizierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeworfen.

Die Bewaffnung in der Bevölkerung ist ziemlich weit fortgeschritten, zur eigenen Sicherheit verfügen viele Iraker mittlerweile über eine Waffe. Als Lösungsansatz werden eine stärkere Militärpräsenz unter UN-Mandat oder eine möglichst schnelle Wiederherstellung der Autonomie diskutiert. Der Zug sei jedoch angesichts der unbeherrschbaren Zustände mittlerweile abgefahren. Es gehe längst nicht mehr darum, Demokratie im Land herzustellen.

Aus US-amerikanischer Sicht wurde der Irak, so der Vorwurf eines der Diskutierenden, als eine möglichst billige Tankstelle angesehen. Das sei der Plan der Neokonservativen vor dem Krieg gewesen, der jetzt nicht aufgeht. Die USA seien gekommen, um sich das Erdöl unter den Nagel zu reißen, damit haben sie sich disqualifiziert. US-Präsident George W. Bush wird von den Regierenden der Länder, die sich bislang nicht an der Befriedung des Irak beteiligen, vorgeworfen, dass ein Zeitplan fehlt. Ab wann wird der Irak von Irakern regiert, verwaltet und gesichert werden können?

Auch ethnisch ist die irakische Bevölkerung gerade dabei, sich wieder selbst zu finden. Überall gibt es Identifikationsangebote. In Kirkuk gibt es z.B. eine starke turkmenische Minderheit, etwa 700 000 Leute. Insgesamt ist der Irak kein einheitliches ethnisch-religiöses Gebilde, es gibt so zahlreiche und auch in Folge der Diktatur diffuse Gruppierungen und Minderheiten, dass es noch ein bis zwei Jahre dauern wird, bis sich sich die Bevölkerung identifikatorisch halbwegs sortiert haben dürfte. Saddam Hussein setzte die Ethnisierung zur Erhaltung seiner Macht ein. Auch die Flugverbotszone im Südirak, die vor dem Krieg dafür gedacht war, die Schiiten zu schützen, schützte wiederum diejenigen Schiiten nicht, die in Bagdad lebten. Der jetzige Regierungsrat arbeitet nach einem ethnisch-religiösen Proporz. Die politische Neugestaltung fand, so wird kritisiert, unter relativer Ahnungslosigkeit von Seiten der USA statt. Der Irak sei dem momentanen Zustand nach ein Volk ohne Staat.

Strittig ist, in wieweit sich im Irak mittlerweile Strukturen gebildet haben, die sich zur Durchführung von Wahlen anböten. Problematisch ist, dass, schriebe man zum jetzigen Zeitpunkt Wahlen aus, die gewählt würden, die sich bereits gut organisiert haben, also insbesondere exilirakische und religiöse Gruppen. Viele schiitischen Führer sind für eine Trennung von Staat und Religion. Fraglich ist jedoch, ob sie unter den Schiiten insgesamt durchsetzen würden.

Bis vor dem Krieg hatte der Irak nichts mit dem internationalen Terrorismus zu tun. Jetzt schon. Mit dieser Auffassung fasst einer der Mitdiskutierenden zum Schluss die Verfehlungen der USA bei der Befriedung des Irak sowie den von ihm scharf abgelehnten Krieg als Ironie des Schicksals zusammen. Bleibt die Frage: Was könnten die Vereinten Nationen derzeit besser machen?

Tübingen, 11.09.2003 - Peter Liehr

Israel-Palästina-Konflikt

Beschluss zur Ausweisung Yassir Arafats

Der neue palästinensische Ministerpräsident Kurei will dem Parlament heute sein Kabinett vorstellen. Es soll als "Notstandskabinett" zunächst nur aus maximal zehn Mitgliedern bestehen. Die israelische Armee beginnt indes damit, das Hauptquartier Arafats zu umzingeln. Sie besetzen die oberste Etage im angrenzenden Gebäude des palästinensischen Kultusministeriums und zwingen die dort arbeitenden Personen, das Stockwerk zu verlassen. Die Truppen haben Anweisung erhalten, sich auf einen eventuellen Angriff vorzubereiten. Israelische Kampfflugzeuge überfliegen Ramallah im Tiefflug. Die Vorstellung des palästinensischen Kabinetts wird in Folge dieser Entwicklungen auf das kommende Wochenende verschoben. Die israelische Regierung stimmt dann nachmittags über die Planung der Ausweisung von Palästinenserpräsident Arafat ab - und spricht sich schließlich grundsätzlich für dessen Zwangsausweisung aus. Sie werde jedoch nicht sofort ausgeführt, so die augenblickliche Beschlusslage. (Eine israelische Zeitung schlägt gar vor, Arafat zu töten.) Arafat protestiert gegen den Beschluss. Er werde sich nicht hinauswerfen lassen. Hunderte Palästinenser versammeln sich spontan vor seinem Amtssitz und bieten sich an, als seine menschlichen Schutzschilde zu fungieren und seine Ausweisung zu verhindern. Was Arafat international mit relativer Übereinstimmung vorgeworfen wird: Er habe nichts für eine Eindämmung der Gewalt gegen Israel getan.

Israel; Palästina: Der Bau des Sicherheitszauns zwischen Israel und den Palästinensergebieten soll energisch vorangetrieben werden.

Tübingen, 11.09.2003 - Peter Liehr

USA: Die US-Regierung warnt ihre Bürger im Ausland vor geplanten weiteren Anschlägen gegen mit den USA assoziierte Ziele. US-Präsident George W. Bush äußert sich bislang nicht zu dem gestern neu aufgetauchten Bin-Laden-Video.

Deutschland

Bundespolitik

Sicherheitspolitik

Deutschland: Thema Verfassungsschutz in Deutschland: Die Radiosendung Zeitlupe auf Radio SWR 2 berichtet unter dem Titel "Muslime gegen Islamisten" über den Landesverfassungsschutz in Baden-Württemberg, der von der Landesregierung und von der Opposition offenbar gleichermaßen uneingeschränkt gelobt wird. Bei der Ermittlung und Vorbeugung islamistischen Terrors in Baden-Württemberg verwendet der Verfassungsschutz zu 80"Prozent öffentlich zugängliche Mittel wie das Internet oder Flugblätter. Gerade im Internet stellen islamistische Gruppen islamische Minderheiten der Welt teils durchaus realistisch, teils überzeichnet als benachteiligt dar, vielfach in rhetorisch äußerst überzeugender Weise. Auch frappierend ist die Geschwindigkeit, mit der die Inhalte solcher Internetseiten aktualisiert werden.

Deutschland: Der deutsche Innenminister Schily sagt, die Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland sei noch verbesserungswürdig. So sollten künftig entweder Fingerabdrücke oder Iris-Fotos in Personalausweise mit aufgenommen werden. Verteidigungsminister Struck will künftig zum Kampf gegen Terroristen im Land auch die Bundeswehr einsetzen.

Deutschland: Fast jeder zehnte Haushalt in Deutschland kann, wie heute gemeldet wird, seine Rechnungen nicht mehr bezahlen.

Frankfurt am Main, Deutschland: Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft während seiner Eröffnungsrede zur Internationalen Automobilausstellung dazu auf, den Terror mit zivilen Mitteln zu bekämpfen. Der Kampf gegen den Terror sei nur zu gewinnen, wenn neben militärischen Maßnahmen der Wiederaufbau in Irak und Afghanistan weiterginge.

Schweden: Die schwedische Außenministerin Anna Lindh erliegt den Verletzungen, die ihr gestern von einem Attentäter zugeführt wurden. Der Mörder der beliebtesten Politikerin Schwedens ist flüchtig. Schweden habe "sein der Welt zugewandtes Gesicht verloren", heißt es heute von Seiten des schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson. Vor 17 Jahren bereits war der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme ermordet worden.

Afghanistan: Das Hauptquartier der ISAF-Truppen in Afghanistan wird mit Raketen beschlossen. Der Angriff führt jedoch nicht zu Schäden.

Libyen; Frankreich; Vereinte Nationen: Der Weg zu einer Aufhebung der UN-Sanktionen gegen Libyen ist nun auch von französischer Seite aus frei. Der französische Außenminister De Villepin teilt mit, man habe sich mit Libyen über die Höhe der Entschädigungen für das Attentat auf ein französisches Verkehrsflugzeug vor 14 Jahren geeinigt. Das Attentat auf die Berliner Discothek La Belle von 1986 steht bei Schadensersatzforderungen nicht zur Debatte.

Tübingen, 11.09.2003 - Peter Liehr

Mexiko: Welthandelsgipfel in Cancun.

Tübingen, 13.09.2003 - Peter Liehr

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