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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Montag, 12.07.2004

Bei meinen heutigen Eintragungen stütze ich mich vorwiegend auf Meldungen von Radio SWR 2.

USA; Irak: In den USA beginnt die Anhörung der US-Soldatin Lynndie England wegen Misshandlung und Demütigung Gefangener im US-Militärgefängnis Abu Ghreib im Irak - es sind Fotos im Umlauf, auf denen z.B. zu sehen ist, wie Lynndie England nackte irakische Gefangene an einer Hundeleine hält. Bei der heutigen Anhörung soll entschieden werden, ob gegen die Soldatin ein Prozess eröffnet werden wird.

Sudan; Deutschland: Während seines Sudanbesuchs setzt der deutsche Außenminister Joschka Fischer seinen Amtskollegen Ismail und die sudanesische Regierung bzgl. der Flüchtlingskrise von Dharfur unter Druck. Die sudanesische Regierung müsse die Milizen entwaffnen und zur Rechenschaft ziehen. Falls es keinen Fortschritt gebe, werde die Diskussion noch sehr viel ernster, so Fischer gegenüber Ismail, der sich allerdings noch gestern eine deutsche Einmischung in Flüchtlingskrise verbat. Man sei nicht bereit, sich irgendwelche Ratschläge von deutscher Seite geben zu lassen, so Ismail. Fischer seinerseits betont in Karthoum, ohne eine Lösung des Konflikts würden dem Sudan internationale Sanktionen drohen. Die Krise um Dharfur besteht bereits seit 16 Monaten.

Griechenland: Ein Stromausfall in ganz Südgriechenland - die Haupt- und demnächst wieder Olympiastadt Athen inklusive - sorgt für großes Chaos sowie für Befürchtungen bezüglich des geordneten Ablaufs der Olympischen Spiele. Das Netz soll aufgrund der angesichts großer Hitze auf Hochtouren laufenden Klimaanlagen überlastet gewesen und zusammengebrochen sein. Menschen bleiben in U-Bahnen und Fahrstühlen stecken, der Autoverkehr bricht aufgrund ausgefallener Ampeln zusammen.

Porto Empedocle, Sizilien, Italien: Die seit über zwei Wochen an Bord des deutschen Flüchtlingsschiffs Kap Anamur befindlichen schiffbrüchigen Flüchtlinge aus dem Sudan dürfen von Bord gehen, die italienischen Behörden erlauben es dem Schiff, nach zähen Verhandlungen endlich in der sizilianischen Hafenstadt Porto Empedocle einzulaufen. Zunächst dürfen nur diejenigen von Bord, deren gesundheitliche Verfassung in kritischem Maße beeinträchtigt ist, später alle. Aufgenommen sollen sie jedoch nicht werden, zumindest nicht von Italien, und ein anderes Aufnahmeland scheint nicht in Sicht. Das Vorgehen empfinde ich als beschämend. Beschämend gegenüber den Flüchtlingen, beschämend für die Europäische Union. Dass Italien eine besonders lange und besonders schwer zu sichernde maritime Außengrenze hat, ist nicht zu bezweifeln. Auch, dass die Fluchtmethode, sofern erfolgreich, Nachahmer nach sich ziehen wird, falls diese über ihre humanitäre Lage hinreichend verzweifelt sind, nötigenfalls den Tod durch Ertrinken in Kauf zu nehmen. Das Verhalten der EU-Staaten und ihr Beharren auf ihrer jeweiligen Nicht-Zuständigkeit ist jedoch grotesk und dürfte auf die Flüchtlinge beinahe so wirken, als solle ihnen klargemacht werden, sie hätten die Option gehabt, nicht gerettet zu werden und zu ertrinken; warum sie sie denn dann nicht gewählt hätten. Das mag unbeabsichtigt sein, liegen die Zuständigkeiten doch bei Behörden einzelner EU-Mitgliedsstaaten, kodiert in dort gültigen Gesetzlichkeiten, und wie wir wissen, kann man sich vor beherztem, menschlichen Handeln hinter solchen Kompetenzstrukturen herrlich drücken. Doch hier geht es um Menschen, nicht einmal 40 an der Zahl. Verglichen mit der Tatsache, dass arme Nachbarländer des Sudan Flüchtlingszahlen Zuflucht gewähren, die weit in die Tausende reichen, kann ich das Bild, den Eindruck, den das Vorgehen in diesem Fall hinterlässt, nur als Anklage gegen die EU, gegen Deutschland und gegen Italien empfinden.

  • Die an Bord gestellten Asylanträge für Deutschland sind nach deutscher Gesetzeslage nicht gültig und damit hinfällig. Sie müssten innerhalb des Landes gestellt werden.
  • Italien weigert sich, die Flüchtlinge aufzunehmen. Das Schiff habe - und da liegt ein strittiger Punkt - maltesische Hoheitsgewässer durchfahren, bevor es italienische erreicht habe, also sei Malta für die Aufnahme der Flüchtlinge zuständig, so die Argumentation.
  • Der Chef der Hilfsorganisation Kap Anamur sowie der Kapitän des gleichnamigen Schiffes werden in Italien zunächst stundenlang verhört und dann inhaftiert - wegen Begünstigung illegaler Einreise. Kein Wort davon, dass sie 37 Schiffbrüchige vor einem qualvollen Tod gerettet haben.
  • Man werde doch nicht der Weltöffentlichkeit demonstrieren, dass man die eigenen Grenzen nicht kontrollieren könne, so die Sicht der italienischen Regierung und Behörden.

Tübingen-Bühl, 12.07.2004 - Peter Liehr

Ausblick: Die heute Inhaftierten werden am kommenden Freitag wieder freigelassen werden.

Tübingen-Bühl, 16.07.2004 - Peter Liehr

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