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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Montag, 20.01.2003

Selbstreflexion zu diesen Tageseinträgen

Was ich mit diesen Seiten nicht erreichen will, ist, zu einer Militarisierung des Denkens beizutragen. Dessen bin ich mir bewusst. Der heutige Tag umfasst jedoch, obwohl es zum Glück bisher nicht zu einem Krieg im Irak gekommen ist, eine so große Menge kriegs- und terrorbezogener Nachrichten, dass ich mich entschließe, mit der kurzen Aufstellung von ein paar beispielhaften Wörtern zum Nachdenken anzuregen - durchaus auch mich selbst. Die folgenden Begriffe kommen im weiteren Verlauf der hiesigen Einzelseite zum 20.01.2003 in folgender Häufigkeit vor (auch als Teil zusammengesetzter Wörter, Stand: 20.01.2003):

  • Begriff - Anzahl
  • Terror(ismus) - 9
  • Krieg - 9
  • Kampf - 4
  • Frieden - 1
  • friedlich - 0

Vorrangige Quellen heute: Radio SWR 2, Inforadio 93.1, ARD- und ZDF-Fernsehen.

UN-Menschenrechtskommission unter libyschem Vorsitz

Libyen; Vereinte Nationen: Eine libysche Diplomatin wird zur Vorsitzenden der UN-Menschenrechtskommission gewählt. Eine Botschafterin des libyschen Staatschefs Ghadafi auf diesem Posten ist für viele schwer vorstellbar. Ghadafis Regierung begann vor mehr als 30 Jahren mit einem Putsch, er wird mit weiteren Putschversuchen in Afrika in Verbindung gebracht. Die Liste von Ghadafis Menschenrechtsverletzungen ist heutigen Medienberichten zufolge lang. Andererseits, so wird berichtet, habe Ghadafi seinen Schatten übersprungen, 140 politische Gefangene freigelassen und begonnen, mit den USA bzgl. des Lockerbie-Attentates von 1988 sowie im Kampf gegen den Terror zusammen zu arbeiten. Insofern wird heute auch das Argument ins Gespräch gebracht, es könne, "wenn's klappt", durchaus positiv wirken, wenn Ghadafis Libyen menschenrechtlich in die Pflicht genommen würde.

Vereinte Nationen; Irak: UN-Chef-Waffeninspektor Hans Blix äußert sich zu den im Irak gefundenen Sprengköpfen. Sie hätten sauber deklariert und zerstört werden sollen. Auch könne es sein, dass noch weitere Granaten gemeldet würden, so Blix über Aussagen der irakischen Führung ihm gegenüber. Es stelle sich die Frage, ob die jetzigen Funde alles seien oder ob es sich um die Spitze eines Eisberges handle. Die irakische Seite kündigt eine bessere Zusammenarbeit mit den Waffeninspektoren an. Ein entsprechendes Abkommen wird unterzeichnet. Demnach wird der Irak jetzt auch die Untersuchung von Privatwohnungen unterstützen, den Waffeninspektoren beim Aufbau regionaler Büros behilflich sein und ein Team zur Verfügung stellen, das bei der Suche nach weiteren Sprengköpfen helfen soll. Es ist jedoch nach wie vor unklar, wo 550 Giftgasgranaten sind, die während der bis 1998 durchgeführten Waffeninspektionen registriert wurden. Wesentliche Fragen zu Milzbranderregern, zum Nervengift VX und zu Scud-Raketen seien ebenfalls noch offen, so Hans Blix.

Hintergründe zur Nordkorea-Krise

Einige Notizen aus einer Diskussionssendung im Radio, angereichert mit eigenen Gedanken.

Laut Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern an einer Expertenrunde in Radio SWR 2, Sendung "Forum", seien in Südkorea 37 000 US-Soldaten stationiert, die nordkoreanische Armee hingegen bestehe aus 1,2 Millionen Männern und Frauen. Nordkorea will einen Friedensvertrag mit den USA erreichen. Bislang fußt das Ende des Koreakrieges offenbar lediglich auf einem Waffenstillstandsabkommen. Vor diesem Hintergrund und mit der Gewissheit militärischer Überlegenheit in der Region fordert die nordkoreanische Führung, direkt, "Knie an Knie" mit den USA zu verhandeln, das Interesse an den jüngsten russischen Vermittlungsversuchen (19.01.2003) ist aus dieser Sicht vermutlich gering. Nordkorea hielte, so ein Diskussionsteilnehmer, die in Südkorea stationierten US-Soldaten quasi in Geiselhaft. Ein Militärschlag der USA gegen Nordkorea ist in der jetzigen Lage offenbar nur schwerlich gangbar. Auch versuche die nordkoreanische Führung derzeit schlichtweg, ihr eigenes Existenzrecht und damit die Existenz Nordkoreas in seiner jetzigen Staatsform zu sichern. Das Land sei so sehr von Subventionen abhängig, dass es im Falle eines vollständigen Einfuhrstopps von Rohstoffen und Gütern aus den USA quasi vollständig von Importen aus China abhinge. Gedankenspiel eines Diskutierenden: Würde China - so wie Ungarn gegenüber dem Westen kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhanges in Europa - seine Grenzen zu Nordkorea öffnen, so wäre die einsetzende Bevölkerungsflucht voraussichtlich das Ende Nordkoreas in seiner bisherigen und jetzigen Form. Vergessen dürfe man jedoch auch nicht, dass das Land in der Vergangenheit durchaus einige Forderungen erfüllt habe, die die Erwartung im Land begünstigten, nun doch einmal von der Liste der Länder genommen zu werden, die im Verdacht stehen, den Terrorismus zu fördern - und so auf weitere Subventionen, insbesondere auf Aufbauhilfe zugunsten der ruinösen Wirtschaft hoffen zu dürfen. Die Einordnung Nordkoreas in der US-amerikanischen Liste der sogenannten "Schurkenstaaten" wirkt sichtlich beleidigend (vgl. meine Meinungsäußerungen zum 09.10.2001 und zum 12.12.2001). "Die USA müssen ihre feindselige Haltung aufgeben" - so die Reaktion von nordkoreanischer Seite (11.01.2003, 13.01.2003). Insgesamt seien die Aktionen der nordkoreanischen Führung bei weitem nicht so unberechenbar und in taktischer Hinsicht weitaus logischer, als sie bislang häufig dargestellt worden seien.

US-Außenminister Colin Powell plädiert heute dafür, den UN-Sicherheitsrat in den Atomstreit mit Nordkorea einzuschalten. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA müsse dem Sicherheitsrat die Verletzung des Atomwaffensperrvertrages melden.

Großbritannien: Großbritannien erteilt 26 000 Soldaten den Marschbefehl in die Golfregion. Zudem sollen 120 schwere Kampfpanzer und 150 weitere gepanzerte Fahrzeuge dorthin. Schiffe, ein Flugzeugträger und ein Atom-U-Boot sind bereits unterwegs bzw. halten sich auf Manövern in Bereitschaft. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon kündigt außerdem die Einberufung von Reservisten an. In der vergangenen Woche sagte der britische Premierminister Tony Blair bereits, er werde, falls Saddam Hussein nicht kooperiere und die UN-Resolutionen erfülle, auch ohne UN-Mandat und ohne Zustimmung des britischen Unterhauses die Entwaffnung des Irak bzw. Entmachtung der irakischen Führung mittels eines Krieges betreiben. Verteidigungsminister Hoon äußert sich jedoch nach wie vor hoffnungsvoll hinsichtlich der Kooperationsbereitschaft der irakischen Führung.

Polizeiaktion in einer Londoner Moschee

London, England, Großbritannien: Eine Antiterroreinheit der britischen Polizei stürmt am frühen Morgen die Finsbury Park Moschee im Norden Londons und nimmt sieben Terrorverdächtige fest. Zu diesem Eingreifen auf Grundlage des Anti-Terror-Gesetzes habe der Fund des biologischen Kampfstoffes Ricin zu Jahresbeginn veranlasst. Die betroffene Moschee wird offenbar schon seit längerem kritisch betrachtet; dort verkehrte u.a. der "Schuhbomber" (22.12.2001) sowie eben die vier Algerier, in deren Wohnungen Ricin gefunden wurde. Sie werden als terrorverdächtig angeklagt. Der Imam der Moschee, Abu Hamza el Masri, selbst nicht unter den Verhafteten, wird in den Tagesthemen (ARD-Fernsehen) als besonders radikal beschrieben. Er predige den Heiligen Krieg und stehe Osama Bin Laden nahe.

In der vergangenen Woche wurde in Manchester ein Polizist umgebracht, offenbar bei einem ähnlich gearteten Polizeieinsatz.

Dorset, England, Großbritannien: In Dorset in Südengland werden mehrere Behältnisse mit Milzbrand-Impfstoffen sowie mit einem Mittel gegen Quecksilbervergiftung an Land gespült. Sie stammen ursprünglich aus Großbritannien, und es wird spekuliert, ob sie von britischen Schiffen auf dem Weg in die Golfregion verloren wurden. Eine Gefahr für die Bevölkerung habe nicht bestanden.

Katholische Bischofskonferenz in Würzburg

Würzburg, Bayern, Deutschland: Die Katholische Bischofskonferenz in Deutschland lehnt auf einer Tagung in Würzburg einen Krieg gegen den Irak ab. Die Bischöfe halten einen solchen Krieg sowohl für sittlich unerlaubt als auch für völkerrechtswidrig. Nur im Falle eines Angriffes oder zur Vorbeugung schlimmster Menschheitsvergehen dürfe Krieg geführt werden. Zugleich räumen die Bischöfe ein, dass der Irak ein internationales Sicherheitsrisiko darstelle und Druck auf das Land gerechtfertigt sei. Der Vorsitzende der Konferenz, Bischof Karl Lehmann, sagt jedoch, dass Krieg nicht aufgrund einer vermuteten Bedrohung geführt werden dürfe.

Deutschland; Jemen: Die beiden am 10.01.2003 am Rhein-Main-Flughafen aufgegriffenen Terrorverdächtigen müssen und werden offenbar nicht an den Jemen ausgeliefert werden, da es kein Auslieferungsabkommen mit dem Jemen gebe. Den USA bleiben noch etwa vierzig Tage, Beweise vorzulegen, die die beiden Männer belasten.

UN-Sicherheitsratssitzung in New York

Vereinte Nationen; Deutschland; USA; Irak: Der deutsche Außenminister Joschka Fischer warnt in seiner ersten Rede vor dem UN-Sicherheitsrat vor den unkalkulierten Risiken eines Krieges im Irak und bekräftigt damit die kritische Haltung Deutschlands. Der Krieg könnte, so Fischer, zum Auseinanderbrechen der Koalition gegen den Terrorismus führen. US-Außenminister Colin Powell, der sich mit Fischer zu einem vertraulichen Gespräch trifft, sagt hingegen, er wolle bei seiner harten Haltung bleiben. Auch lehnt er ab, den UN-Waffenkontrolleuren mehr Zeit für ihre Arbeit einzuräumen. Er geht weiter davon aus, dass der Irak an seinen Massenvernichtungswaffen festhielte. Zu der Sicherheitsrats-Sitzung in New York hatte Frankreich aufgerufen, ursprünglich jedoch, um den gemeinsamen Kampf gegen den Terror abzustimmen.

Deutschland; USA; Irak: Die USA sind nach Ansicht des deutschen Bundeskanzlers Schröder im Irak nicht auf ein isoliertes Vorgehen aus.

Weilheim an der Teck, 20.01.2003 - Peter Liehr

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