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Geschichte, Zeitgeschichte, Politik und Kultur chronologisch

Gedanken und Notizen zum Montag, 31.03.2003

Bei meinen heutigen Einträgen stütze ich mich überwiegend auf Informationen von Radio SWR 2 und Radio Deutschlandfunk.

Krieg im Irak

Irak; Großbritannien; USA: In der irakischen Hauptstadt Bagdad werden heutigen Angaben nach Präsidentenpaläste und das Informationsministerium bombardiert, der Krieg wird merklich intensiviert, berichtet Radio Deutschlandfunk. Bagdad wird mit tieffliegenden Kampfbombern angegriffen. Auch die Stadt Mossul im Nordirak wurde erneut bombardiert. Britische und US-amerikanische Soldaten seien noch zwei Kilometer von Basra entfernt. Dort wie in einigen Teilen Bagdads sei der Strom ausgefallen, was sich für die Versorgung Kranker und die Trinkwasseraufbereitung katastrophal auswirken kann. Auch um Nassiria und Nadjaf wird gekämpft. Im Südirak liefern sich US-Soldaten nach eigenen Angabe erstmals schwere Gefechte mit der irakischen Elitetruppe "Republikanische Garden". 120 000 US-Soldaten sollen in Kürze derzeit im Irak kämpfende Soldaten ablösen.

Irak; USA: Die Aussage der US-Regierung, Der Krieg laufe nach Plan, leidet zunehmend in ihrer Glaubhaftigkeit, und in den USA wächst die Furcht, dass er sich zu einem zweiten Vietnam entwickeln könnte. (In Vietnam starben allein 58 000 US-Soldaten, die Millionen toter Zivilisten und die getöteten vietnamesischen Kämpfer sind dieser Zahl noch hinzuzurechnen.) Die Einschätzung vor Beginn des Krieges, alliierte Truppen würden im Irak als Befreier willkommen geheißen, hat sich nicht bewahrheitet. Auch besteht weiterhin das Problem, dass die irakische Führung eigene Soldaten unter die Zivilbevölkerung mischt, um so deren Bekämpfung ohne "Kollateralschäden" (vgl. 04.10.2001, 13.10.2001) unmöglich zu machen. Es stellt sich zudem die Frage, in wieweit Truppen der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien in einer Rolle als "Befreier" je akzeptiert werden könnten. Als Gefahr für die Akzeptanz des Krieges in der US-Bevölkerung stellt sich die wachsende Glaubwürdigkeitslücke hinsichtlich der Berichte über das angebliche Kriegsgeschehen dar. Was von dem, was im Irak passiert, wird wirklich berichtet?

Großbritannien; Irak: Zwei britische Soldaten müssen sich offenbar vor einem Militärgericht verantworten, weil sie angeblich die Ausführung von Befehlen verweigert hätten, die zum Tod von Zivilisten geführt hätten.

Irak: Der irakische Staatschef Saddam Hussein ist heute erneut im irakischen Fernsehen zu sehen, zusammen mit einem seiner Söhne. Von wann die Bilder stammen, ist unklar.

USA; Russland; Irak: Nach Angaben des US-Botschafters in Moskau sind die Beziehungen zu Russland getrübt. Die USA werfen Russland illegale Rüstungslieferungen an den Irak vor. Russlands Staatschef Vladimir Putin wiederum wirft den USA Fehler bei der Kriegführung vor.

USA; Syrien; Irak: Die US-Regierung wirft der Regierung Syriens vor, Saddam Hussein sowie terroristische Gruppen zu unterstützen. Indessen reisen in Jordanien lebende Iraker in ihre ehemalige Heimat, um dort auf irakischer Seite zu kämpfen. Nicht wenige unter ihnen hoffen offenbar nach dem Krieg auf Verbesserungen der Zustände im Irak unter Beibehaltung der Führung Saddam Husseins.

USA; Iran: US-Außenminister Colin Powell bekräftigt den harten Kurs gegenüber dem Iran. Er fordert die iranische Regierung auf, von ihrem Streben nach Massenvernichtungswaffen abzulassen.

Deutschland: In der CDU wächst die Kritik an der USA-treuen Politik der Parteichefin Angela Merkel. Ihr wird Entfremdung von der Basis vorgeworfen. Eine Mehrheit der CDU-Anhänger steht der rot-grünen Position näher. Allerdings sind zahlreiche CDU-Ministerpräsidenten in Deutschlands Merkels Meinung, ebenso der Vorsitzende der Jungen Union. CSU-Chef Stoiber bedauert bei einem Besuch in Peking, dass es bzgl. des Irak-Konfliktes keinen Konsens in der UNO gegeben habe.

Deutschland: Der deutsche Bundespräsident Rau kritisiert die religiöse Motivation von US-Präsident George W. Bush für den Krieg im Irak. Bush unterliege einem Missverständnis, wenn er den Krieg als göttliche Mission betrachtet. Auch versteht Rau die Begründung für den Krieg nicht. Wie Raus Äußerungen nahelegen, hat sich Bush offenbar explizit religiös zum Krieg geäußert. Unterschwellig wird von vielen Menschen eine religiöse Motivation George W. Bushs beim Vorgehen im Irak als gegeben gesehen. Hinweise darauf mögen sich in seiner Biographie und in seinen Äußerungen finden, doch finden sich in keiner der Reden von George W. Bush explizite Zusammenhänge zwischen seinem religiösen Glauben und seiner politischen Sicht der Dinge. In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2003 findet sich eine Stelle mit religiösem Motiv, die sich jedoch wesentlich schwächer ausnimmt als religiös motivierte Stellen in Reden anderer US-Präsidenten, z.B. von Kennedy oder Jefferson.

Deutschland: Verfassungswidrige Unterstützung eines Angriffskrieges?

USA; Deutschland: Von Seiten des US-amerikanischen Generalsstabes gibt es heute ausdrückliches Lob für die deutsche Unterstützung des Krieges, bezogen auf die in Deutschland so sehr umstrittene indirekte Unterstützung wie die Wachunterstützung bei US-Kasernen durch Bundeswehrsoldaten, die Überflugrechte für US-Militärflugzeuge oder die Behandlung von Kriegsverwundeten in Militärkrankenhäusern. Das heutige, bei vielen nicht willkommene Lob bezieht sich ausdrücklich auf letzteres; im pfälzischen Landstuhl werden derzeit etwa 200 aus dem Irak eingeflogene kriegsverletzte US-Soldaten behandelt. Bereits am 19.03.2003 wurde gegen Bundeskanzler Schröder aus den genannten Gründen Verfassungsklage wegen der illegalen Unterstützung eines Angriffskrieges eingereicht. Diese Interpretation der Sachlage ist durchaus nachzuvollziehen; doch wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, hängt sicherlich auch sehr von dessen Interpretation des am 02.10.2001 im Zusammmenhang mit den Terroranschlägen vom 11.09.2001 ausgerufenen und bisher nicht beendeten NATO-Bündnisfalles ab, demzufolge NATO-Partnerstaaten beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt werden müssen. Der Interpretation der US-Regierung zufolge ist der Krieg gegen den Irak eingebettet in das Gesamtkonzept des Kampfes gegen den Terror und kann somit auch die NATO-Bündnissolidarität beanspruchen, aus deutscher und auf Bevölkerungsebene mehrheitlich europäischer Sicht ist der Krieg auf diese Weise jedoch nicht zu rechtfertigen.

Paris; Frankreich; Deutschland: In Paris erörtern der deutsche Außenminister Joschka Fischer und sein französischer Amtskollege Dominique de Villepin die humanitäre Lage im Irak. Nach Angaben der UNO prügeln sich Zivilisten mittlerweile um die Nahrungsmittel, die bei Hilfslieferungen im Irak eintreffen. Knapp 1/4 der irakischen Kinder sind offenbar schon seit geraumer Zeit vor Beginn des Krieges chronisch fehlernährt und leiden durchschnittlich 14-mal im Jahr an Durchfall. Auch die Trinkwasserversorgung ist ein drängendes Problem.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes nimmt heute in der Nähe der Stadt Um Kasr im Südirak erstmals ein Kriegsgefangenenlager in Augenschein.

Quervergleich: Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien

Rückblick auf den Bosnienkonflikt und den Krieg im ehemaligen Jugoslawien: Das Massaker in der zur UN-Schutzzone erklärten Stadt Srebrenica begann am 11.07.1995 und liegt nun fast acht Jahre zurück. Die sterblichen Überreste von zunächst nur 600 (per DNA-Analyse identifizierten) Toten aus Massengräbern werden heute in Würde beerdigt. Mehr als 10 000 Menschen nehmen an der Beerdigung teil. Über 8 000 Menschen sind bei dem Massaker von Srebrenica umgebracht worden, rund die Hälfte davon wurden bislang exhumiert.

Eines der Argumente der US-Regierung für den nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Völkerrechtler vom Völkerrecht nicht gedeckten Krieg im Irak ist die angeblich unzureichende Konfliktpräventions- und -bewältigungsfähigkeit der Vereinten Nationen. Es stellt sich demnach zumindest theoretisch und als Denkmodell die Frage, was in oder an der UNO geändert werden müsste, damit ein Krieg wie der im Irak auch aus US-amerikanischer Sicht als nicht nötig erachtet würde. Dass die UNO keine Idealinstitution, sondern ein Kompromiss ist und damit das darstellt, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt international-zwischenstaatlich aushandelbar ist, sollte sie in ihrer Wichtigkeit nicht schmälern - eigentlich.

Im Kosovo wurden NATO-Truppen ohne UN-Mandat eingesetzt, die Akzeptanz war, wenn auch getrübt, so doch im Großen und Ganzen gegeben, Proteste hielten sich im Gegensatz zum jetzigen Krieg im Irak sehr in Grenzen. Ich kann das nachvollziehen, war ich doch damals reichlich ratlos angesichts der Horrormeldungen des Jugoslawienkonflikts. Wie so viele wusste auch ich nicht mehr weiter, hatte keine Ideen, wie der Bürgerkrieg eingedämmt hätte werden können.

Tübingen, 31.03.2003 - Peter Liehr

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